Heute ist passiert, was ich schon lange erwartet habe. Ich wurde Zeugin eines Unfalls. Wartete in Down Town auf eine Journalisten-Kollegin, genoss die Sonne im Gesicht, hörte ein Krachen und sah dann nur noch einen Außenspiegel splittern und einen Körper fliegen. Der Mann im dunklen Mantel blieb einige Meter weiter weg regungslos liegen, von allen Seiten stürzten Männer herbei, rufend, die Hände vors Gesicht schlagend.
Und dann passierte, was ich gar nicht erwartet hatte: Der Mann wurde von drei anderen gepackt und schnurstracks in den Kleinbus verfrachtet, der ihn angefahren hatte. Nix Polizei, nix Krankenwagen und den Fahrer konnte ich durch die Windschutzscheibe lächeln sehen. Nur die zerbrochene Brille auf dem Asphalt ließ noch auf einen Unfall schließen.
„Klar, sie mussten ihn doch retten“, kommentiert die Kollegin, als ich ihr kurz später meine Beobachtungen schildere. Angesichts des dichten Verkehrs ist es sogar wahrscheinlich, dass das Unfallopfer so schneller ins Krankenhaus kam als wenn die Männer auf einen Krankenwagen gewartet hätten.
Seit ich hier bin, betrachte ich fast jede Straßenüberquerung als Abenteuer, das ich mit den Worten „Don’t show fear“ einleite. Ausnahmen bilden lediglich die seltenen Fußgängerampeln, -tunnel und –brücken. Ammans Straßen sind nicht für Fußgänger gemacht. Auf den Fußgängerwegen versperren oft Bäume den Weg und häufig genug existiert nicht mal ein schmaler Rand entlang der Straße, den man zu Fuß benutzen könnte. Hin und wieder sieht man Zebrastreifen, meist reichlich ausgeblichen, aber abgebremst wird dort nur, wenn jemand gerade dabei ist die Straße zu überqueren.
Tatsächlich verzichten die meisten Leute in Amman auf derlei Hilfsmittel. Die Straße wird überquert, wo es gerade passt. Selbst wenn die Straße dicht befahren ist, laufen die Leute bei der ersten größeren Lücke los und huschen über die drei, vier, fünf Spuren. Immer im Vertrauen darauf, dass die Autos schon abbremsen werden. Was sie meistens auch tun. Ich bevorzuge Ampeln und Staus, habe mittlerweile aber auch einen Blick dafür bekommen, wann ich rennend die Straße überqueren kann. Rennen ist bei den echten Ammanern natürlich gar nicht angesagt, sie strecken eher die Hand aus und fordern die ankommenden Autos zur Geduld auf. Dass ich noch nicht sehr viel mehr Unfälle beobachtet habe, wundert mich, wirklich.
Vor kurzen wurde ein junger Mann angefahren und liegen gelassen. Weil er aus einer reichen, einflussreichen Familie kam, verursachte sein Tod einiges Medienecho und sogar eine Demonstration von Freunden und Verwandten. In der Redaktion der Jordan Times dagegen waren sich die Kollegen ziemlich einig: Klar, lässt man ein Unfallopfer nicht einfach liegen. Aber der Junge war selbst schuld an dem Unfall, hatte er die Straße doch auf die ortübliche Art und Weise überquert. Selbst die Stadtverwaltung hat das Problem erkannt und baut seit einiger Zeit Zäune auf die Mittelstreifen der großen Straßen.
Die Straßen aller größeren Städte in Jordnien sind am Tag vollgestopft mit Autos, Staus auf allen Hauptverkehrsstraßen, oft auch in den Wohnvierteln. Es ist verblüffend, denn die Autofahrer schaffen sich selbst schon mehr Platz als vorgesehen: Hat eine Straße zum Beispiel eigentlich drei Spuren, dann eröffnen sie mit Sicherheit eine vierte, gerne auch mal eine fünfte. Vor meinem Haus wurden vor einigen Monaten neue Spurlinien aufgezeichnet, in Weiß und Gelb. Nur drei Wochen später war von ihnen nichts mehr zu sehen, die Farbe war verschwunden, abgefahren.
Den Plan, die Spur zu wechseln, mit einem Blinker anzeigen, ist auch nicht wirklich eine weit verbreitete Sitte. Vorgegangen wird eher so: Beschließen, dass man die Spur wechseln will, und rüberziehen. Dem Hintermann bleibt nichts anderes übrig als entrüstet zu hupen und in die Eisen zu steigen. Auch aus diesem Grund ist die Hupe das wichtigste Hilfsmittel im Autoverkehr hierzulande. Hat man der Verdacht, dass der Vordermann die Spur wechseln wird, macht man vorbeugend mit der Hupe auf sich aufmerksam. Hinzu kommen dann noch die Taxifahrer, die jedem Fußgänger hupend klarmachen, dass sie frei sind. Das Konzert an der Kreuzung vor meinem Haus ist gerade morgens fast ohrenbetäubend.
Dass Geschwindigkeitsbegrenzungen ebenfalls etwas sind, das eine eher untergeordnete Rolle spielt, muss ich jetzt vermutlich kaum noch erwähnen. Jordanische Lösung: Künstliche Bodenwellen, die auch mal mitten auf der Autobahn den Verkehr auf unter 50 km/h abbremsen. Wer da nicht bremst, ist selbst schuld, wenn Beulen aus dem Kopf sprießen und die Stoßdämpfer einen schnellen Tod sterben.