Ich müsste euch schreiben, viel mehr
schreiben. Ich lebe hier in so spannenden Tagen, Wochen, Monate sind
es ja sogar. Aber gerade weil jeden Tag etwas anderes passiert, komme
ich einfach nicht dazu.
Die Arbeit läuft. Nicht so wie ich
gehofft hatte. Aber ich sehe viel, verstehe manches besser, manches
immer noch nicht, stolpere über neue Fragen.
Die Leute in der Staatszeitung, in der
ich mich derzeit herumtreibe, sind freundlich, offen, neugierig und
beantworten jede Frage, erzählen gern. Obwohl wir an unserem zweiten
Tag beinahe rauskomplimentiert worden wären, was sich dann aber doch in
Wohlgefallen auflöste. Auffällig ist und bleibt, dass in dem Raum,
in dem die Entscheidungen getroffen werden, Frauen nur Gäste sind.
Sie kommen herein, besprechen sich mit den Männern, geben ihre
Artikel ab und manchmal Widerworte. Aber keine bleibt, redigiert oder
bestimmt, welcher Artikel an welche Stelle kommt.
Das Thema, das alle Ägypter und die
meisten ihrer Gäste umtreibt, sind die Präsidentschaftswahlen. Seit
gestern ist klar, wer kandidiert. In spätestens einer Woche wissen
wir auch, wer Kandidat bleiben darf. Noch vor einer Woche war ich
hundertprozentig sicher, dass Ägypten einen konservativ-islamischen
Präsidenten haben wird.
Einen, der sich früh sowohl auf die
Seite der Leute auf dem Tahrir geschlagen hat wie auch offen das
Militärregime kritisiert hat. Ein Anwalt und Scheich, eloquent und
respektabel. Aber eben auch einen, der vor allem von Leuten
unterstützt wird, die im Parlament Anträge auf die Sperrung von
Porno-Seiten im Internet stellen oder auf die Abschaffung des Rechts
von Frauen auf Scheidung und während des Parlamentswahlkampfs
Statuen nackter Menschen verhüllten. Die aus dem Nichts gekommen zu
scheinende politische Kraft der Salafisten, stark geprägt vom
wahhabitischen Gedankengut aus Saudi-Arabien und von Mubarak
geförderte Gegenspieler der gemäßigteren Muslimbrüder. Mir war
nicht eben wohl bei dem Gedanken an einen Präsidenten mit dem Namen
Hazem Salah Abu Ismail.
Und dann, out of the blue, waren da
diese Gerüchte, dass seine Mutter U.S.-amerikanische Staatsbürgerin ist.
Dazu muss man wissen, dass der neue ägyptische Präsident weder mit
einer Ausländerin verheiratet sein darf (ich gehe jetzt einfach mal
davon aus, dass es keine Präsidentin geben wird, obwohl es
mindestens eine Kandidatin gibt), noch dass seine Eltern eine andere
als die ägyptische Staatsbürgerschaft haben. Da waren noch andere
schräge Regeln, aber die fallen mir gerade nicht ein.Ach ja, die Sache mit den Vorstrafen, sehr witzig in einem Land, in dem man für sein Engagement als Oppositionspolitiker verhaftet und verurteilt wurde (und wird), gerne auch von Militärgerichten.
Morgen sollen endgültig Dokumente
veröffentlicht werden, aus denen hervorgeht, ob Hazem Abu Ismails
Mutter als US-Amerikanerin gestorben ist oder nicht. Wenn es stimmt,
ist er aus dem Rennen. Und mir bliebe ein seltsames Gefühl, eine
Irritation darüber, dass der Kandidat mit den besten Aussichten auf
Erfolg, auf diese Weise ausscheidet.
Es gibt auch über andere Kandidaten
derartige Gerüchte. Bei mindestens einem haben sie sich bestätigt,
andere konnte beweisen, dass sie nicht stimmen. Im Parlament wird an
einem Änderungsantrag für das Wahlgesetz gearbeitet, das zwei
weitere aussichtsreiche Kandidaten verhindern würde – den
ehemaligen Geheimdienstchef Omar Suleiman, der erst ganz kurz vor Bewerbungsschluss seinen Hut in den Ring warf, und Mubaraks letzter
Premier Ahmed Shafiq.
Ich beobachte weiter, auch wenn mein
armes Hirn die Komplexität der Vorgänge kaum zu fassen vermag und
manchmal schlicht in Streik tritt. Fahre demnächst ein paar Tage mit
Freunden in die Wüste und hätte da auch noch was zum Thema Militär
zu vermelden. Aber für heute ist es erst mal wieder genug.
edit: Am 11. April hat ein Verwaltungsgericht (ich nehme an, das höchste, aber Zeit, das zu recherchieren, hab ich jetzt grad nicht...) entschieden, dass es keine ausreichenden Beweise dafür gibt, dass des Salafisten Mutter als US-Amerikanerin gestorben ist. So schreibt es jedenfalls Egypt Independent. Wie schon oben angemerkt, passiert hier täglich was Neues und nichts scheint sicher. Aber würde ich auf den nächsten Präsidenten Ägyptens wetten, dann würde ich auf Abu Ismail setzen. Auch wenn mir das rein ideologisch nicht in den Kram passt.
edit: Am 11. April hat ein Verwaltungsgericht (ich nehme an, das höchste, aber Zeit, das zu recherchieren, hab ich jetzt grad nicht...) entschieden, dass es keine ausreichenden Beweise dafür gibt, dass des Salafisten Mutter als US-Amerikanerin gestorben ist. So schreibt es jedenfalls Egypt Independent. Wie schon oben angemerkt, passiert hier täglich was Neues und nichts scheint sicher. Aber würde ich auf den nächsten Präsidenten Ägyptens wetten, dann würde ich auf Abu Ismail setzen. Auch wenn mir das rein ideologisch nicht in den Kram passt.