Warum also, wo ich doch so häufig über
den Wahlkampf berichtet habe, habe ich noch kein Wort zum Ergebnis
verloren. Die Wahrheit ist: Ich stehe unter Schock.
Im vergangenen Jahr habe ich
mitgezittert, Revolutionsluft geschnuppert, über vergossenes Blut
den Kopf geschüttelt, Tränengas gerochen, versucht Sinn aus allem
zu machen. In diesem Jahr wurde ich von Tag zu Tag pessimistischer,
ohne wirklich zu wissen warum. Nichts schien voranzugehen, Leute
starben immer noch auf der Straße, wurde wegen unsinniger Gründe
vor Gericht zitiert oder eingesperrt, alte Figuren tauchten wieder im
Vordergrund auf, neue, denen ich nicht mit weniger Skepsis begegnen
konnte, wurden populär.
Und dann dieses Ergebnis. Der letzte
Mubarak-Premier und der aus dem Hut gezauberte Muslimbruder, die
gemeinsam kaum mehr Stimmen bekamen als die beiden Kandidaten, die
von meinen liberalen Freunden gewählt wurden. Bis gestern dann noch
die leise, eher verzweifelte Hoffnung, dass der Felul per Gesetz vor
der Stichwahl disqualifiziert wird. Stattdessen entschied das
Verfassungsgericht, dass ein Teil des Parlaments nicht der Verfassung
entspricht und deshalb neu gewählt werden muss. Und die Versammlung,
die die neue Verfassung schreiben soll, ist noch immer nicht
zusammengetreten.
Im vergangenen März war mir nicht
wirklich klar, was dieses Ja zum Verfassungsreferendum bedeutete.
Jetzt, nach allen Geschehnissen, die in meinem hoffnungsvollen Gemüt
heilloses Durcheinander anrichteten, scheint alles nur zu einem
Schluss zu führen. Es hat sich nichts geändert und es wird sich
nichts ändern. Die Propaganda-Maschine läuft und sie steht im
Dienst der Konterrevolution. Die alten Hände ziehen die Strippen,
die jungen sind müde, verzweifelt oder tot. Die Revolution war eine
Illusion.
Wenn auch vielleicht nicht
ausschließlich. Ich erinnere mich an den Schwung, die Energie in
diesen Wochen nach den 18 Tage im Januar und Februar 2011. Werde aber
auch nie vergessen, wie mir fast die Kaffeetasse aus der Hand
gefallen ist, als aus dem Radio der Satz drang „In Ägypten hat das
Militär die Macht übernommen“. Und denke mir heute, dass dieser
Satz völliger Nonsens war. Weil nämlich die Macht immer beim
Militär lag. Alle drei Präsidenten waren Offiziere. Und Männerbünde
brechen selten, heißen sie nun Mafia oder Militär, solange nur
Macht und Privilegien nicht angetastet werden.
Und ich schulde diesem Blog noch immer
einen Beitrag zum ägyptischen Militär.
Ich habe so viel gelernt im vergangenen
Jahr, verstehe noch immer so vieles nicht. Hatte mit so heißem
Herzen gehofft und geglaubt und sogar gestritten und war doch einfach
nur naiv. Jetzt fügen sich die Puzzleteile zusammen. Das Bild ist
ein anderes als meine rosigen Prognosen von vor einem Jahr. Es zeigt:
Ein Anfang ist gemacht. Aber der Weg dahinter ist lang, verschlungen
und birgt diverse Stolpersteine.
Über Saudi-Arabien geht die Sonne auf. |