Nebensachen
aus Tunis:
Ich
suche einen Platz an der Sonne, mit Tisch und Stuhl und jemandem, der
mir Kaffee bringt. Ich laufe ein paar Meter die Straße hoch, es ist
schon spät, die Sonne wird nicht mehr lange scheinen. Auf der
anderen Seite der Straße ist ein Café, ein paar Tische sind
besetzt, einige Sonnenplätze noch frei. Tische und Boden wirken so
sauber wie sie in einem Straßencafé am späten Nachmittag sein
können. Die Musik spielt leise, die Gäste sind nicht still, aber
auch nicht zu laut.
Da
ist natürlich wieder einer dieser Typen, a random guy, der an einem
der vorderen Tische sitzt, die Straße im Blick, und mich anspricht
als ich Kurs auf meinen Platz für die nächsten zwei Stunden nehme.
Ob ich Spanierin sei, will er wissen. Sein Lächeln ist ein Grinsen.
Er überrascht mich, denn er ist mindestens 20 Jahre älter als ich,
jedenfalls sieht er so aus, und ich hätte nicht im mindesten mit
einer Anmache ausgerechnet aus dieser Richtung gerechnet. Ich hatte
nur einen alten Mann im Café gesehen. Aber er besteht darauf, mich
darauf hinzuweisen, dass er an mir interessiert ist, an meinem Körper
jedenfalls, mein Kopf würde ihm sicher schnell zu anstrengend.
Ich
verneine, denn ich ignoriere nicht gern, und suche mir meinen Weg
zwischen den Tischen. Bestelle Kaffee und beginne meine Papiere auf
dem Tisch auszubreiten. Die Sonne wärmt mich, es dürfte ein
bisschen weniger Verkehr sein, ich beobachte die Passanten.
Eine
Frau, Mitte, Ende vierzig, sie ist ein bisschen übergewichtig und
ihr Oberteil sitzt etwas zu eng, rot gefärbte Haare. Sie läuft mit
einem etwa zwölfjährigen Jungen vorbei und spricht mich an. Ich
verstehe nicht gleich, was sie sagt. Sie wiederholt: „C'est mixte?“
Ich brauche noch einen weiteren Moment bis der Groschen fällt. „Das
weiß ich nicht“ und „Ich bin hier zum ersten Mal“ antworte
ich, während ich mich umsehe und das Geschlecht der Gäste an den
anderen Tischen mit der Frage abgleiche. Der erste Satz klappt noch
auf Französisch, der zweite rutscht auf Arabisch raus.
Ich
habe immer noch Schwierigkeiten, die beiden Sprachen zu trennen.
Immerhin geht es mir nicht mehr so wie in Jordanien als ich inmitten
einer französischen Reisegruppe saß und nicht mal mehr „Wie
geht’s?“ und „Ich heiße“ auf Französisch sagen konnte, weil
sich immer die arabischen Wendungen davor schoben.
Sie
nickt, lächelt seltsam, geht weiter. Ich schaue mich nochmals um.
Der Typ von vorhin möchte immer noch Kontakt aufnehmen. Ich nehm es
zur Kenntnis und wende mich den kleinen Papierstapeln vor mir zu.
Aber es bleibt ein unangenehmes Gefühl.
Und
ich denke, bevor ich mich ganz in die Texte vor mir vertiefe, dass
wir uns oft selbst gegenseitig das Leben zur Hölle machen. Statt
Solidarität äußern wir Warnungen und Tadel. Ich hatte nicht
darüber nachgedacht, dass dieser Platz nicht für mich bestimmt sein
könnte. Sie hat mich auf Grenzen hingewiesen. Und erst ihr Hinweis
machte diese Grenzen für mich real, sichtbar, fühlbar,
beschränkend. Sie hatten für mich zuvor schlicht nicht existiert.
Ich hatte an diesem Ort, zu dieser Zeit keinen Gedanken daran
verschwendet, dass es ein reines Männercafé sein könnte. Obwohl
ich wusste, dass es solche gibt.
Eine
Frau schränkt mich ein, verweist mich auf meinen Platz und betont
mein Geschlecht. An einem Ort, der für mich rein gar nichts
sexuelles hatte. Und an dem ich jetzt Gäste und Kellner misstrauisch
mustere.
Als
ich wieder auftauche, ist die Sonne hinter den Bäumen verschwunden,
der Verkehr noch ein bisschen stärker geworden. Der Typ am Tisch an
der Straße ist weg, dafür sitzen drei Tische weiter eine Frau mit
einem Mann und in der Mitte eine sehr junge Frau mit Kopftuch allein.
Ich
gehe, und während ich durch die Ruhe der Seitenstraßen wandere,
frage ich mich, warum die Frau mich angesprochen hat. Wollte sie mich
warnen? Oder auf meinen Platz verweisen? Oder hat sie einfach nur
überlegt, sich ebenfalls zu setzen?
Wenn
sie mich warnen wollte, dann warum? Denn der Platz war ganz
offensichtlich nicht gefährlich. War es eine ganz generelle Warnung,
weil ich zu unbeschwert wirkte? Hat sie hier schlechte Erfahrungen
gemacht? Ich komme nicht weiter, kann das Rätsel nicht lösen. Auch
eine Erklärung ihres mutmaßlichen Bedürfnisses mich zu maßregeln
kann ich nicht finden. Und die Tatsache, dass ich dort saß, war doch
bereits Antwort auf ihre mögliche Frage, ob sie dort sitzen könne.
Warum
hat sie mich angesprochen? Warum der Hinweis auf die
Geschlechtertrennung? An eine ihr wildfremde Frau, an einem
keineswegs konservativen Ort.
Ich
verstehe es nicht. Nicht wirklich.
Auch
wenn ich weiß, dass Frauen für die Aufrechterhaltung des
Patriarchats, also mithin eines ungesunden Geschlechterverhältnisses,
eine entscheidende Rolle spielen. Aber ich weiß es nur in der
Theorie. Die Frauen meiner Familie entsprachen nicht alle der
gängigen Erwartungshaltung, auch wenn viele von ihnen typische
Berufe ergriffen, geheiratet und Kinder bekommen haben.
Ich weiß von den Tanten, die ihre Nichten festhalten, wenn der Mann oder
die Frau mit dem Rasiermesser kommt. Ich
habe selbst erlebt wie ein kleiner Junge von der gesamten Familie
positiv dafür verstärkt wurde, dass er auf der Straße Frauen angemacht hat wie er es von Papa kannte. Ich war
froh zu hören, dass arme Familien in Amman begreifen, dass ihre
Töchter auf dem Heiratsmarkt bessere Chancen haben, wenn sie
zumindest Lesen und Schreiben können,
und todtraurig zugleich über den Fakt, dass man sie darüber
aufklären, sie überzeugen muss davon, dass auch ihre kleinen
Mädchen zur Schule gehen wollen, obwohl es doch eigentlich einfach
nur ihr gottverdammtes Recht ist.
Ich
hatte das große Glück in einem Staat aufzuwachsen, in dem es
offizielle Linie war, dass Frauen das Gleiche leisten können wie
Männer. Ich habe in der Schule nie gehört, dass ich diesen oder
jenen Beruf nicht ergreifen könne, weil ich ein Mädchen bin. Ich
habe mit meinen Klassenkameraden, Jungen und Mädchen, gelernt, wie
man Werkzeuge benutzt. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich beim
Handarbeiten talentierter war. Missverstehen wir uns nicht! Das
Glück, dass dieser Staat aufhörte zu existieren und ich nicht
hinter seinen Mauern eingesperrt blieb, ist vermutlich noch größer.
Ich
bin wirklich nicht sicher, welches Glück das größere war. In
beiden Fällen wurde ich von Grenzen befreit, bekam zumindest das
Gefühl, dass Grenzen überwindbar und im besten Fall nicht existent
sind.
Das
eine fremde Frau mich in aller Öffentlichkeit darauf hinweist, dass
ich eine Frau bin und somit keinen unbeschränkten Zugang zu
öffentlichen Orten habe, lässt mich ratlos. Es bleibt ein Unbehagen
in der Magengegend, das mich noch Tage später immer wieder drückt
und zwickt.
Ya
Madame, das war wirklich nicht nötig!