Meine Zeit hier neigt sich nun also dem
Ende zu. 8 Monate wie geplant, mit Heimaturlaub und Besuch. Und
Zeiten, zu denen ich einfach nur nach Hause wollte.
Die ersten beiden Monate waren Scheiße.
Zweimal Tote direkt um die Ecke, Pech beim Versuch, Kontakte zu
knüpfen, und zum Teil komplette Desorientierung angesichts der Fülle
von Vokabeln und Dialekt, Namen und Ereignissen.
Die Heftigkeit der Auseinandersetzungen
nahm ab und mein Wissen um Ursachen und Verbindungen zu. Das Bild hat
sich verändert, die Zahl der weißen Flecken zugenommen. Wie soll
ich auch ein Land verstehen, dass derart anderen Faktoren unterliegt
als das meine? Die Bindung zu Deutschland ist sicher nochmals
gewachsen, aus Dankbarkeit für all die kleinen Dinge, die das Leben
so komfortabel einfach machen. Aber wie soll ich verstehen, was das
Leben in einem Militärstaat ausmacht, wenn jeder Mann in Uniform
mich aufgrund meines Passes ausgesucht freundlich behandelt? (Bitte
kein Missverständnis: Ich habe keinerlei Interesse, das Innere von
Polizeistationen näher kennenzulernen!) Wie Armut, wenn ich die
wirklich armen Viertel nicht wage allein zu betreten? Wie das wahre
Ausmaß der sexuellen Belästigung, wenn ich viele der gerufenen oder
geflüsterten Obszönitäten zwar höre, aber eben meist nicht
verstehe und auf mich beziehe?
Ich frage, sehe, höre. Atme die
giftige Luft, spüre die Hitze des Sommers und die Kälte des
Winters, gönne mir meine Privilegien wie das Taxi statt den Bus.
Möchte manche Leute schlagen, andere küssen. Sitze ich im Café,
versuchen schmutzige Kinder mir Taschentücher oder Minze zu
verkaufen. Fahre ich Taxi, bin ich ständig auf der Hut und habe
schon manchen Fahrer unberechtigt verdächtigt, den Taxameter
manipuliert zu haben, aber auch nicht immer falsch damit gelegen. In
der U-Bahn wurde mir im Gedrängel versehentlich die Brille von der
Nase geschlagen, mittlerweile lasse ich auch mal eine Bahn fahren und
warte auf die nächste, weil ich das Extrem-Sardinieren nicht
ertrage.
Man muss Kairo ab und zu verlassen
können, sonst wird sie unerträglich. Die Wüste mit dem rauschenden
Sand und unendlichen Sternen. Der Nil und das lautlose Gleiten der
Felucca. Und jetzt das Camp am Roten Meer und der bunte Zoo unter
Wasser.
Ich sitze auf einer Terrasse. Polster,
Teppiche und niedrige Tische, der fönartige Wind (Stufe zwei für
Stärke und Temperatur) raschelt in den Palmzweigen, aus denen das
Dach gemacht ist. Hossam, der Camp-Betreiber, hat ruhigen Jazz
aufgelegt; Strom gibt es zweimal am Tag für je zwei Stunden aus dem
röhrenden Generator. Es ist der letzte Abend nach 3 faulen Tagen –
lesen, schreiben, schnorcheln, essen, Yoga.
Der Schnorchel zog Wasser zu Beginn,
aber die Szenen dort unten lassen es mich immer weiter versuchen. Es
ist wie in einem riesigen Aquarium. Bunt und lebendig. Fische in
allen möglichen Farben, Formen und Größen, Korallen wie riesige
Kissen oder Armeen von Speeren. Die großen, schwarzen Seeigel finde
ich bedrohlich, auch wenn ich sehe, dass ihre giftigen Stacheln
kleine Biotope bilden, den kleineren Fischen Schutz vor größeren
bieten. Den Drachenfisch finde ich faszinierend schön, auch wenn ich
weiß, dass eine Berührung nichts Gutes hieße. Ich schwebe über
ihnen und als direkt vor mir ein grün-blau-gelb-schillernder ein
großes Stück Koralle abbeißt, verstehe ich plötzlich dieses
ständige Knirschen in meinen Ohren – die Fischbevölkerung futtert
sich durch das Riff, Tag und Nacht. Als ich am Strand auf einem Stein
sitze und warte, welche Bewohner sich so zeigen, versucht erst ein
winziger Krebs in meinen Schuh zu klettern und dann eine Krabbe sich
ihren Weg an meinem Hintern vorbei zu bahnen, indem sie mir dezent
hineinkneift. Zwischen den Balken der Cafeteria haben Tauben ihr Nest
gebaut, am Abend kommen der Nachbarhund und wilde Katzen vorbei.
Wer nicht wusste, dass ich ein Faible
für Natur und Tiere haben – hier wird es offensichtlich.
Noch etwas mehr als drei Wochen. Ich
habe noch einiges zu tun – Fragebögen verteilen, Zeitungsartikel
ausschneiden, letzte Interviews führen, Inhaltsanalyse vorbereiten,
Abschied nehmen, letzte Geschenke kaufen, packen.
Ich fahre nach Hause. Ich werde
wiederkommen. Ich hoffe weiter.