Worüber ich nicht lachen kann
Ich habe versucht
eine Liste von Dingen zu machen, die mir so wichtig sind, dass ich
keinen Witz darüber lustig finden würde. Zuerst fielen mir erst mal
nur Dinge ein, über die ich herzhaft lachen kann und von denen ich
weiß, dass das nicht für jeden so ist. Witze über Gott mit all
seinen Namen zum Beispiel und über viele Formen von Ritualen.
Das erste, was mir
einfiel, war ein Abend im örtlichen Subkulturzentrum. Ich inmitten
vieler Freunde, die meisten davon lesbisch oder irgendwie sexuell
unentschlossen und alle noch sehr jung. Der Mann auf der Bühne war
sympathisch, wir lachten bis er anfing Witze über Homosexuelle zu
machen. Die Raumtemperatur verringerte sich merklich um einige Grade.
Wenn ich heute darüber nachdenke, dann möchte ich mich fast bei ihm
entschuldigen. Ich kann mich nicht mehr genau an seine Worte
erinnern. Aber ich vermute heute, dass wir damals vor allem deshalb
nicht lachten, weil wir selbst so unsicher darüber waren, was wir
von uns und unseren Beziehungen halten sollten. Vermutlich blieb uns
damals das Lachen nicht deshalb im Halse stecken, weil er in aller
Ernsthaftigkeit homophobe Thesen verbreitet hätte. Dafür wäre er
schließlich am völlig falschen Ort gewesen, in einem Haus mit einem
Programm, das ich als links, hippiesk, alternativ erinnere.
Das nächste ist
noch nicht ganz so lange her. Im Fernsehen lief Mario Barth,
Live-Show Olympiastadion. Zu dem Zeitpunkt überall hochgejazzt und
ich hatte keine Ahnung. Also hab ich es mir angeschaut. Ich hab nicht
gelacht. Kein einziges Mal. Saß nur da und wurde immer
fassungsloser. Denn das war keine Satire, kein Kabarett, das war noch
nicht mal Comedy. Das war eine schlichte Aneinanderreihung von
Stereotypen über Männer und Frauen, nach der dem geneigten Publikum
nichts mehr übrigbleiben sollte als zu sagen: „Ja, genau so
isses!“
Dabei kann ich über
die satirische Darstellung von Geschlechterkonflikten durchaus
lachen. Kürzlich lief im Radio ein kabarettistisches Spiel mit den
Rollen eines Paares, bei dem ich mehrmals laut lachen musste. Und
kurz bevor ich angefangen habe diesen Text hier zu schreiben, lachte
ich über den TwitterMädchen-Song. Witze über Frauen bringen mich
also durchaus zum Lachen, auch wenn ich in der Realität hin und
wieder – und damit viel zu oft – vor Wut aufschreien könnte,
wenn ich merke wie unfair Frauen behandelt werden, nur weil sie eben
Frauen sind. Dass ich über Mario Barth nicht lachen konnte, lag
nicht an meinen Mangel an Toleranz, sondern an seinem
Niveau.
Ich lache nicht,
wenn ich nicht sicher bin, ob ein Witz als solcher gemeint ist. Macht
jemand, den ich nicht gut kenne, im persönlichen Gespräch Witze
über Minderheiten (es gibt so viele davon, dass sie eigentlich eine
Mehrheit sind, deshalb erspare ich uns eine ohnehin unvollständige
Liste), dann werde ich hellhörig, frage auch mal nach, ob das ein
Witz sein sollte.
Das tue ich nicht
immer, zugegeben. Man kann nicht alle Schlachten schlagen, die sich
einem anbieten. Und manchmal möchte man auch nur in Ruhe seines
Weges gehen.
An manchen Tagen
mache ich Witze über mich selbst, an anderen kann ich nicht mal
schmunzeln, wenn jemand ein Witzchen auf meine Kosten reißt.
Ist mir nichts
heilig? Ich suche und suche, prüfe meine Rituale, tagelang.
Natürlich gibt es
Dinge, von denen ich überzeugt bin, die mir wichtig sind, die ich
nicht gerne in Frage gestellt sehe. Werden diese verlacht, dann kann
ich protestieren oder umschalten (auch: weggehen, die Zeitung/das
Buch wegwerfen, weiterklicken). Ich kann mich fragen, ob ich mit
meiner Meinung zu Mehrheit oder Minderheit gehöre, und sogar ob ich
vielleicht Unrecht habe. Aber das muss ich nicht.
Mir ist das Leben
heilig. Ich lache nicht über die Realität. Über Massentierhaltung,
Diskriminierung, Krieg. Aber ich lache oft, wenn diese Dinge
satirisch überspitzt werden. Ist nicht die beste Satire jene, bei
der einem das Lachen im Halse stecken bleibt? Weil sie trifft, wo es
weh tut.
Wie schon gesagt: Ob ich über einen Witz wirklich lache, ist von meiner Tagesform abhängig und sicher auch vom Absender.
Es ist okay, nicht zu lachen. Es sagt doch nicht mehr als dass man eine andere Sicht der Dinge hat, eine andere Meinung, vielleicht nur einen anderen Tag.
Wie schon gesagt: Ob ich über einen Witz wirklich lache, ist von meiner Tagesform abhängig und sicher auch vom Absender.
Es ist okay, nicht zu lachen. Es sagt doch nicht mehr als dass man eine andere Sicht der Dinge hat, eine andere Meinung, vielleicht nur einen anderen Tag.
Es ist nicht okay,
Menschen wegen ihrer Meinung – ob jetzt als Satire verpackt oder
nicht – zu töten (oder zu bedrohen oder zu foltern oder zu
inhaftieren oder zu verurteilen oder oder oder).
So einfach ist es
eigentlich.