Ich bin zurück in Kairo und
entschuldige mich bei allen, bei denen ich mich nicht gemeldet habe.
Ich brauchte eine Pause, dringend! Das Leben ist anstrengend hier,
die politischen Ereignisse zerren an meinen Nerven und so eine
Feldforschung läuft auch nicht immer so geradlinig wie sie vor dem Abflug auf Papier geschrieben stand. Deshalb musste ich irgendwann beschließen,
niemanden mehr zu treffen oder anzurufen, sondern nur noch die Füße
hochzulegen.
Jetzt bin ich also zurück und bin
wieder mitten drin. Fassungsloses Kopfschütteln und überraschende
Freude, Wut und Zuneigung, nervenzerüttendes Getümmel und kleine
Schätze, es mischt sich wieder täglich alles. Gestern dachte ich
kurz darüber nach, das Haus nicht zu verlassen, obwohl ich
verabredet war.
Meine Mitbewohnerin kam mit der Nachricht, dass es wieder Zusammenstöße gab, wieder direkt um die
Ecke. Diesmal vor der amerikanischen Botschaft und beginnend mit
Protesten gegen die Ausreiseerlaubnis für Mitarbeiter der
hauptsächlich amerikanischen Nicht-Regierungsorganisationen, die
nach Razzien wegen angeblich illegaler Finanzierung im Dezember
zunächst an der Ausreise gehindert und dann vor Gericht gestellt worden
waren. Seit deren Ausreise in der vergangenen Woche überschlagen
sich Zeitungen, Politiker und Justizvertreter mit Spekulationen und
Anschuldigungen. Gegen Abend stieß der ausdrücklich das Militär
unterstützende und umstrittene TV-Moderator und
Präsidentschaftskandidat
Tawfik Okasha zu
den Demonstranten. Und weil Freitag war und sich die Nachricht
schnell auf den nahen Tahrir-Platz verbreitete,
entwickelte sich ein hitziges Gefecht zwischen Pro- und
Anti-SCAF-Demonstranten und mittendrin das Militär, das die
Gruppen auseinanderhalten musste, um die US-Botschaft zu schützen.
Lange Rede, kurzer Sinn: Ich bin dann
doch ausgegangen. Aufmerksam, aber ohne Angst. Denn Proteste sind in
der Regel sehr lokal begrenzt und ich musste in die entgegengesetzte
Richtung. Und was soll ich sagen? Das Leben geht immer weiter,
weiter, weiter. Hätte ich nichts davon gelesen, hätte ich nichts
davon bemerkt.
In der Straße, die Schausplatz der heftigen Straßenschlachten im November war, sind derweil echte Kunstwerke zur Erinnerung an die Opfer entstanden. Die Wände gehören zum großen Teil der Amerikanischen Universität in Kairo, die bereits bekundet haben soll, die Bilder bewahren zu wollen. Hier ein Artikel von
Egypt Independent zum Thema.
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Erinnert mich an Picassos Guernica. |
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Im Dezember während Straßenschlachten getöteter Azhar-Scheich |
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Märtyrer |
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SCAF-Chef Tantawi und Ex-Präsident Mubarak |
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work in progress |
Und hier noch ein
Bericht zur Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage seit dem vergangenen Jahr und ihren Konsequenzen.