Freitag, 31. August 2007

Ich habe einen Nachmieter gefunden. Zwei sogar, zweimal Paul. Künftige Maschinenbauer aus Schwerin. Mein Vermieter hat nur Interesse an der schnellen Unterschrift, sich aktiv um etwas kümmern will er am liebsten gar nicht. Mir ist es egal, sie werden so gut ins Haus passen wie ihr Konkurrent, der 20-jährige angehende Logistiker.

Die halbe Bücherwand ist verpackt. Der Kleiderschrank fast leer. Geliehene Dinge kommen in Tüten, Reiseschnickschnack in einen großen Korb. Die Plastiktüten gegen den Container-Mief und das Klebeband waren überraschend teuer.

Bei T. konnte ich heute schon mal üben, wie es ist, Dinge aus Wohnungen heraus und Treppen hinunter zu tragen. Gelbe Säcke mit Klamotten, Stoffbeutel mit Geschirr und anderen Fundstücken, eine kleine Kiste und anderes Gedöns. Die größeren Kisten vermochte ich nicht mal anzuheben. Der einzige Termin, der T. drückte, war das Fußballspiel um 18 Uhr.

J. bot an, auch bei meinem Umzug zu helfen. Damit hätte ich vielleicht genügend Leute zusammen, ich muss morgen noch mal telefonieren. Ein Vito kostet knapp 85 Euro, B. kann einen Anhänger besorgen. Dann könnten wir alles in einem Rutsch fahren und vorher noch Sperrmüll wegbringen. Ein Traum! Würde wahr. So leicht kann das manchmal sein…

Auch sonst löst sich vieles in Wohngefallen auf, was mir noch vor ein paar Tagen Magenschmerzen bereitete. Doch wahrscheinlich war es genau diese Aufregung, die mich so schnell zurück nach Hause trieb, zum Aufbau der Kartontürme. Vier Türme stehen schon, am Ende wird vermutlich in jedem Karton mindestens ein Buch sein. Der Gedanke gefällt mir. Ich habe das Gefühl, schon viel geschafft zu haben. Dass ich fast entspannt in den Flieger steigen werde, ist heute deutlich wahrscheinlicher geworden. Dennoch ist noch viel zu tun, zu besorgen, zu erledigen. Ich hab zu wenig Kartons, muss weitere Pflanzenasyle bestücken, die Küche bruchsicher einpacken; dazwischen noch ein wenig Arbeit hier, Uni da, Stipendium dort.

Der Kater wäre die ganze Zeit im Weg und zudem zuerst irritiert und dann angep*sst von all den Umbauten. Es ist gut, dass er nicht hier ist. Auch wenn ich seine Wärme an meinen Beinen vermisse.

Und die Sprache? laa ’arif al-lura al-arabia – ich kenne die arabische Sprache nicht. Kommt Zeit, kommt Rat, kommt…

Mittwoch, 29. August 2007

Ein Reisetag; zurück nach D. um das Umzugschaos endgültig zu entfesseln. Ich weiß jetzt, wie schnell man wichtige Kabel vergisst. Die Lektion wird umso wichtiger, je weiter die Reise geht und je mehr Geräte dabei sind. Warum die einzelnen Teile nicht zusammen passen, nicht ein, zwei Kabel ausreichen, würde ich wohl gern ergründen. Allein: An eine sinnvolle Antwort glaube ich nicht. Vielmehr daran, dass niemand außer den geplagten Verbrauchern sich darüber Gedanken macht. Oder noch schlimmer: Absicht dahinter steckt und brave Immer-die-gleiche-Marke-Käufer belohnt werden, weil bei ihnen alle Teile zusammenpassen, wenn sie auch immer schön die neuesten Modelle nachrüsten. Schnäppchenjäger wie meinereiner dagegen brauchen ein Stromkabel für das MD-Gerät, eins für die Digi-Akku-Ladestation, eins für die Hub, eins für’s Handy, eins für’s Laptop. Über die Verbindungskabel zwischen den Teilen hab ich noch gar nichts gesagt…

Als ich aufwache, höre ich den Fernseher. Ich mache das Bett sehr ordentlich, decke es mit dem Überwurf ab. Gehe runter, setze Kaffee auf und gehe duschen. Danach packe ich alles zusammen, mein Opa holt das Mittagessen. Ich räume noch ein bisschen auf, gehe auf den Friedhof, um eine zu rauchen und den beiden Steinen „Auf Wiedersehen“ zu sagen, setze mich noch mal mit vor den Fernseher. Die Neigung bei wichtigen Terminen zu früh zu kommen, habe ich wohl von meinem Opa – so wie die Tierliebe und die Schweigsamkeit. Eine halbe Stunde vor der Zeit setzt er mich am Bahnsteig ab.

Ich finde die Wartezeit nicht schlimm; die Sonne scheint und ich kann meinen Gedanken nachhängen. Zumindest erwarte ich das. Ich hab meine Tasche noch nicht abgestellt, da werde ich über die Gleise hinweg angesprochen. Der junge Mann in Blaumann und reflektierender Weste steigt durch den Schotter und über die Schienen; er arbeite bei der Bahn und dürfe das. Ich denke nicht weiter als an eine nette Unterhaltung, er kommt recht schnell zur Sache. Süß sei ich, kaum größer als seine Ex-Freundin, an der er nicht mehr hänge – natürlich nicht. In seinem Leben passiere nicht viel, selbst die Eltern, in deren Haus er wohnt, sehe er nicht täglich. Ich soll ihm schreiben, einmal im Monat einen Brief und jede Woche eine Postkarte. Er sei treu, manchmal zu sehr, und wenn ich es ihm beibrächte, würde er auch Wäsche waschen. Wenn ich ihn besuchen würde, dann wolle er mich mit sechs roten Rosen erwarten, die siebte, eine gelbe, zwischen den Zähnen. Dann wechselt er zurück auf seinen Bahnsteig, wieder mitten durchs Gleisbett, um in den Zug zu steigen, „der mich aus deinem Leben reißt“.

Und wieder mal frage ich mich, warum solche Charmeoffensiven nie von denjenigen kommen, von denen man sie sich wünscht. Und wie es wäre, wenn sie doch aus der gewünschten Richtung kämen. Ob man Rosen und Worte dann annehmen würde und endlich wieder schmachtige Liebesbriefe schreiben könnte, wie ich es das letzte Mal vor über zehn Jahren tat? Oder doch Reißaus nähme, weil nur das Unerreichbare interessant ist?

Verliebt war ich seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr. Hingezogen ja, das fühlte ich mich zu dem einen oder der anderen. Doch die entscheidenden Schritte fehlten, von mir und den anderen. Als hätten wir Angst vor der Mühe, warteten auf eine noch bessere Gelegenheit, wollten liebgewonnene Angewohnheiten nicht aufgeben, uns einfach nicht einlassen. Zwischendrin verfange ich mich in Träumen, fantasiere mich in vertraute Szenen – Aufwachen nach einer Nacht mit wenig Schlaf, ein gemeinsames Bad an einem verregneten Sonntag, Händchen halten beim Gang durch die Fußgängerzone – und fühle mich schrecklich banal. Schon wieder so lange ohne jemanden, der mich lieben will und darf. Ich sollte doch nun gelernt haben, dass es einen nicht umbringt, keine Beziehung zu führen. Und dass meine Träumereien nichts zu tun haben mit dem, was eine Beziehung tatsächlich ist: Zuerst Unsicherheit, dann Nähe, dann Langeweile – und immer die Hoffnung, dass alles sich bessert mit den verstreichenden Tagen. Nichts ist perfekt, nichts ist einfach, nichts ist klar; war es nie und wird es nie sein. Ich habe verlernt, an glückliche Beziehungen zu glauben. Auch wenn ich das nie zugeben würde.

Ich fahre Zug und es ist nichts anderes zu tun als über diesen Verlust zu grübeln. Ich führe mein kleines, glückliches Leben. Kenne Menschen, die mich mögen. Kenne Menschen, die mich lieben. Habe Pläne, Zeit und Geld. Kann alles tun oder alles lassen. Muss keine Rücksicht nehmen, aber auch keine Entscheidung ganz allein treffen. Werde begrüßt, wenn ich komme. Werde vermisst werden, wenn ich gehe. Werde besucht, wenn ich rufe.

Hier fehlt doch nichts, sage ich mir ein ums andere Mal.

Manchmal glaube ich mir das. Dann wieder ist es die größte Lüge, die ich je denken werde.

Ich nehme zur Kenntnis, wie viele meiner Freunde und Bekannten Beziehungen führen. Bin froh, dass Neid und Eifersucht mich nur selten plagen, ich sie ohne Herzstiche beobachten kann, ihre zärtlichen Blicke und vertraulichen Gesten, ihre selbstvergessene Abgeschiedenheit inmitten lauter, wogender Mengen. Ich weiß, dass es nur eine Frage der Zeit sein kann, bis für mich wieder ein richtiger Zeitpunkt kommt. Ein Moment der offenen Augen und Ohren, in dem niemand über Pro und Contra, über Schmerz oder Vertrauen nachdenken und niemand Spielchen spielen wird. Und dann fällt mir wieder auf, wie naiv das ist. Weiß ich das nicht besser?

Im Leipziger Bahnhof wollte ich gerade die Tasche schultern, um die Treppen zum Fahrkartenschalter hinunter zu laufen. Eine ältere Frau griff von hinten nach dem zweiten Henkel. „Na kommen Sie schon“, wehrte sie meinen Protest ab. Erwartete scheinbar weder meinen Dank noch meine guten Wünsche. Ein richtiger Zeitpunkt? Ohne Hintergedanken? Unten angekommen, drehte sie sich zu lächelnd zu ihrem langsamer folgenden Begleiter um. Wollte sie mir helfen oder ihm etwas beweisen? Es macht keinen Unterschied für meine Tasche und meine Knochen. Einzig mein rotierendes Hirn hat Interesse an einer Antwort, die vermutlich nicht mal meine Helferin geben könnte. Auch Altruismus sorgt schließlich für die Ausschüttung von Glückshormonen.

Die Welt ist gut, die Welt ist schlecht. Und schließlich ist doch alles überbewertet und das Glück nie wirklich dort, wo man selbst ist.

*hunderteurofürdiephrasenkasse*

Dienstag, 28. August 2007


Wir haben Äpfel geerntet. Mein Rauchplatz ist jetzt voll vom Duft frischer Äpfel. Manche von ihnen sehen aus wie gemalt, alle sind sie klein. Auf der Suche nach einem Weidenkorb stoße ich im Zwischenboden der Scheune auf alte Holzkisten, voll von Spinnweben und Staub. Ich finde einen Besen aus Reisern, trotzdem staubt es noch in Wolken, als ich die Kisten auf die gestapelten Holzscheite fallen lasse. Die Leiter scheine ich noch aus Kindertagen zu kennen; über einen vorstehenden Pfosten gelehnt, steht sie ganz sicher. Noch ein paar Mal hoch und runter und ich fühle mich wieder flink wie ein Zicklein.

Die Mahlzeiten diktieren den Rhythmus meines Großvaters. Eine Viertelstunde vor der Zeit hat er den Beutel mit Topf und Geldbörse gepackt, um sich dann noch mal ungeduldig in den Sessel zu setzen und mit Blick auf den Fernseher darauf zu warten, dass er endlich zum Metzger gehen und sein Essen holen kann. Auch nach Kaffee mit Kuchen und Abendbrot könnte man wohl den Wecker stellen, dazwischen steht er mal am Tor, hält ein Schwätzchen mit den Nachbarn, dreht eine seiner Runde. Die am Nachmittag fällt heute aus, der Äpfel wegen. Die meiste Zeit jedoch läuft der Fernseher, ein bisschen Talkshow, dann Gerichtsshow, später Tiersendungen, eine Quizshow, Mr. Bean und ein Dokumentation über eine Reise durch Nordkorea. Wir reden nur wenig. Mehr scheint weder nötig, noch möglich.

Ich kämpfe mit der neu gekauften Technik. Als ich die Bildbibliothek von Microsoft testen will, die schon installiert ist, stürzt der ganze Rechner ab. Dann stelle ich fest, dass der MP3-Player scheinbar zuviel Strom braucht. Auch mit aktiver HUB zwischen Rechner und Musikspieler erkennen sie sich gegenseitig nicht. Eine andere Erklärung kann ich nicht finden. Unglücklicherweise habe ich sämtliche Musik-Dateien automatisch gelöscht, als ich die Aufnahmefunktion testen wollte. Dass ich zumindest beim Schreiben weiterhin Musik hören kann, weil der Laptop ja auch einen Audioausgang hat, finde ich mindestens faszinierend und in jedem Fall praktisch.

Sonst passiert nicht weiter viel. Ich verlasse Hof und Garten nicht. Ein weiterer Nachmieter ruft an, der andere Teil meines deutsch-arabischen Sprachtandems meldet sich. Es steht noch eine Hausarbeit aus. Zum Arabisch sprechen sind wir schon länger nicht mehr gekommen. Der neue Bruno tollt den ganzen Tag bei uns herum, sitzt einmal leicht verzweifelt oben im Baum und schafft es mit unseren Anfeuerungsrufen dann doch selbstständig wieder nach unten. Ich drehe ein Video mit ihm und dem Band meiner Kameratasche.

Ich verstehe, warum der alte Mann den ganzen Tag in den Fernseher schaut. Ich wünschte, er hätte mein Vorschlag mit dem Hund aus dem Tierheim angenommen. Ich bleibe sitzen, schaue ebenfalls hin, höre zu und spüre das Gift. 24 Stunden lang die Möglichkeit, den Gedanken anderer zu folgen, statt sich selbst welche zu machen. Mein Fernseher steht seit acht Monaten im Keller. Ich vermisse ihn nicht und spüre in Anwesenheit einer flimmernden Kiste doch immer noch diese starke Anziehung.



Montag, 27. August 2007


Mein Bruder wirft sich auf mich zum Abschied. Ich bin längst nicht wach. Hatte mir doch gerade erst fünf weitere Minuten Schlaf erbeten. Er trägt den sauberen Blaumann, den ich gestern im Bad entdeckt hatte. Ich schaue ihm nach, koche dann Instant-Kaffee, packe die Reste, dusche. Lese die 15 Goldenen Regeln seiner Schreibschule und schreibe ihm eine der Karten, die ich aus dem Internetcafè mitgenommen hatte.

Die rollende Tasche ist perfekt, auch wenn ich sie ehrlicherweise nicht allein ins Gepäcknetz befördern kann. Ich hab’s versucht! Wenn jetzt nicht doch noch was reißt, war sie ein guter Kauf. Der Daumen ist abgeschwollen, seitdem ich die Stelle mit einer Injektionsnadel aufgestochen habe. Die Nadeln stammen noch von unserer Reise in den Jemen. Für den Fall der Fälle, der dummen Zufälle, der schlimmen Unfälle, hatte uns ein Mediziner gesagt, sei es doch in Ländern mit schwacher medizinischer Infrastruktur sinnvoll, eigene Nadeln dabei zu haben. Das leuchtete uns ein. Dabei hatten wir das Päckchen mit Nadeln und Infusionsschläuchen natürlich trotzdem nicht immer. Meinen Daumen jedenfalls zieren jetzt zwei harte Stellen mit jeweils einem roten Punkt in der Mitte. Interessiert das jemanden?

Im Leipziger Bahnhof frage ich nach meinen Rückfahrmöglichkeiten. In einer fremden Sprache hätte es sicher länger gedauert. Ich kenne den Bahnhof, habe ihn wieder kennen gelernt und bin doch immer wieder überwältigt von seiner Größe. In der Bahn liegt ein Leseexemplar einer lokalen Tageszeitung. Netter Service. Die Lektüre, die sich ja doch meist in der Kenntnisnahme der Überschriften erschöpft, reicht gerade aus bis zum Heimatdorf meiner Großmutter.

Mein Opa steht schon am Bahnsteig, rauchend, in Jogginghosen. Wie steigen in den alten Renault. Ich brauche mich doch nicht anschnallen, protestiert er, als mein Gurt, ohne dass ich darüber nachdenke, einrastet. Er fährt sicherer als beim letzten Mal. Das alte Haus trägt frisches Grün, schon seit dem vergangenen Jahr. Im Untergeschoss hat in diesem Sommer einer der Nachbarn renoviert. Die Türrahmen sind wieder weiß, in der kleinen Stube rankt Efeu auf der Tapete. Darauf die alten Bilder, fast verblichen, eines mit Wasserflecken. Ich gewöhne mich langsam an den Anblick der Schrankwand in der guten Stube, dem großen Wohnzimmer, die die schweren, dunklen Holzschränke ersetzt hat, an denen ich mich beim Laufen lernen hochzog. Selbst das Bad sieht nicht mehr so aus, als würde das Wasser nur so durch die Wände rinnen.

Ich gehe Blumen schneiden für meine Mutter. Zupfe ein paar alten Blüten von ihrem Grab und dem meiner Oma. Beide sind übervoll mit lebendigen Blüten und Blättern, frische Blumen stehen in den Vasen. Täglich geht mein Opa seine Runden; hier Blumen gießen gehört dazu. Ich harke den Sand in gerade Linien, das scheint er schon länger nicht mehr getan zu haben. Sonst ist nichts zu tun.

Die Nachbarn haben einen neuen Bruno, vier Monate alt und wie einem Whiskas-Werbespot entsprungen, in hellem Grau und tiefem Schwarz getigert. Er kommt sofort als ich ihn rufe, rauft und lässt sich auf dem Arm herumtragen. Süßes Biest. Der Verkehr auf der Straße vor dem Haus ist wie immer stark.

Ein potenzieller Nachmieter ruft an. Ich telefoniere wegen einem Interviewtermin, lese in meinem Jordanien-Buch. Meine Tante ruft an und ist hörbar irritiert, dass sich eine junge Fraustimme unter dem Anschluss ihres Vaters meldet. Der Fernseher ist überlaut. Mein Opa dreht ihn zwar leiser, wenn ich ihn darum bitte. Doch kurze Zeit später ist er wieder auf gleicher Lautstärke. 83 Jahre ist er alt, seit anderthalb Jahren allein und „es schmeckt wieder“, wie er am Vorabend am Telefon sagte. Ich wünsche, es sei mehr als ein vorübergehendes Aufflackern von Lebenslust.

Die Wörter für „die Mitte von etwas“ im Deutschen, Englischen und Arabischen: Kern, core, ukr.


Sonntag, 26. August 2007


Ich starre auf die weiße Seite. Länger. Feist kommt dünn aus dem Rechner, sechs Meter weiter schläft mein Bruder. Ich kann das nicht in Worte fassen. Wir verstehen uns gut, doch meine ewige Skepsis steht zwischen uns.

*pause*

Dieser Tag ist vielleicht kein Thema für ein öffentliches Tagebuch. Ich will versuchen zu schreiben, als wäre er es doch.

*rauchpause*

Als ich die Augen öffnete, saß er im Sessel und las meine Magisterarbeit. Er sagt nichts dazu. Am Abend vorher wollte er an einer Stelle in der Einleitung wissen, ob ich schreiben musste, was ich schrieb. Ich verneinte.

Ich muss noch etwas schreiben, er setzt sich an seinen Schreibtisch. Er kocht, mildes Curry. hathaa ladiith dschiddan – das ist sehr lecker. Ich lese sein Exposè, wir hören Musik. Essen, schauen ein Video von ihm und seinen Freunden, ich schlafe zwischendrin kurz ein. Er sagt später, er habe es nicht bemerkt. Der Minutenschlaf hat mich erfrischt. Wir gehen los, Internetcafé und Eis essen. Die Sonne scheint nicht mehr so stark, es ist angenehm warm. Wir fotografieren schiefe Häuser, den Dom und uns.

Der Typ im Internetcafé hat soviel Ahnung von den Rechnern, dass er mich die Netzwerkumgebung auf dem Administratoren-Rechner suchen lässt. Das Problem mit dem undruckbaren Bahnticket löse ich nicht, weil ich eigentlich auch keine Ahnung von Computern habe. Aber das Ticket ist auf meinem USB-Stick gespeichert. Und mein Bruder hat zwar keinen Rechner mehr, aber sein Drucker funktioniert.

Er ruft seine Schwester an. Ich bin nicht mit ihr verwandet und doch jetzt verbunden. Sie hat Geburtstag und als er mir das Telefon in die Hand drückt, gratuliere ich artig. Wir tauschen ein paar nette Floskeln und werden uns wohl kennen lernen. Ich reiche das Telefon zurück, sie reicht es weiter an seine Mutter. Sie reden einige Minuten, danach sagt er: „Na, die hätte gerne doch schon jetzt mit dir gesprochen.“ Ich bin froh, dass er mir das Telefon nicht wieder ans Ohr gehalten hat und ich zugreifen musste.

Ich telefoniere mit meinem Opa, kündige mein Kommen an. Er ist überrascht, freut sich, wird mich vom Bahnhof abholen.

Wir schauen einen Bilderbogen auf meinem Laptop an. Der Kater, meist schlafend. Teile meiner Wohnung. Festivalbilder, erst meine, dann seine. Ich muss noch unbedingt das erste Kapitel seines Romans lesen. Immer wieder kam das Heft ins Spiel. Als er es mir jetzt in die Hand drückt und danach seinen Kopf schlaffein auf meine Hüfte bettet, kann ich mich endgültig nicht mehr wehren. Ich habe Scheu, denn die Kurzgeschichte am Abend vorher war furchtbar. Jetzt sind es Kleinigkeiten, die mich stören, auch mal ein ganzer Absatz. Eine phantastische Geschichte, spannend erzählt. Mit Liebe zum Detail, so wie ich meine Fantasy-Bücher liebe. Das Projekt ist groß, er spricht nur halb im Scherz von sechs Jahren. Ich muss mit meinem Urteil warten, wenn mir denn überhaupt eins zusteht. Dabei mag ich doch mein Leben eigentlich nur, wenn es hübsch geordnet ist.

Auch der letzte Satz ist natürlich nur eine halbe Wahrheit. Ich wünsche mir einen Ankerplatz. Einen Ort, an den ich zurückkehren kann. Zum Luft holen oder zum Austoben. Alles sollte dort möglich sein. Doch es soll nur ein Anker sein, ein Teil meines Lebens, nicht mein gesamtes Leben. Wie weit ich davon fortgehe und wie lange, wäre meine Entscheidung. Auch wenn ich hoffe, nie ganz allein entscheiden zu müssen.

„Gute Nacht, mein Schatz“, rief er von seinem Hochbett herunter, leila sa’ida, ja habibi antwortete ich, die Silben noch immer reichlich verstolpernd.



Samstag, 25. August 2007

Ich bin mit meinem Bruder zwei Stunden durch E. gelaufen, ohne unser Ziel zu erreichen. Vielleicht hatten wir auch gar keins. In einen Club vielleicht, tanzen gehen, doch das Angebot im örtlichen Veranstaltungsmagazin war mau gewesen. Eine Eisdiele auf dem Weg hätte eine Sehnsucht befriedigt, stattdessen drückten meine Schuhe bis ich sie auszog. Ins Zentrum auf jeden Fall, Menschen und Häuser sehen, ein Getränk nehmen, zusammen. Wir kamen nicht an, weil wir immer um die falsche Ecke bogen. Ich lief neben ihm her, spürte seine steigende Unsicherheit und wusste keine bessere Reaktion als die Ruhe zu bewahren, selbst zum ersten Mal in der Stadt und orientierungslos. In der Wohnung lag der Stadtplan.

Wir haben die gleichen Züge. Die Winkel um den Mund herum, das Grübchen im Kinn, die Lachfalten an den Augen. Er hat die volleren Lippen, die lockigeren Haare, braune Augen. Ich schaue ihn an und ein paar Mal ist es als sähe ich mein Spiegelbild, ein wenig in die Breite verzerrt und doch eindeutig meins.

Die Stadt ist schön, ich mag die kleinen Häuser, am liebsten die schiefen. Es gibt stinkende Ecken, fast dezent wirkende Plattenbauten und die Touristenmeile um den Dom herum. Die Straßen und Kneipen am Rande der Innenstadt sind fast leer um Mitternacht.

Der Bruder heißt achi, die Schwester uchti.

Freitag, 24. August 2007

Ich hatte schon bessere Tage. Die Arbeit hat Ärger gemacht, der Kater ist ausgezogen und den ganzen Tag kochte ein ekliger kleiner Kessel voll mit Gefühlen wie Überforderung und Hilflosigkeit immer mal wieder über. Dabei ist alles im grünen Bereich.

Der Seecontainer in R. wirkt trocken, stabil und sauber. Der Vermieter ein Original; dicke Plautze im Blaumann, verschärft durch eine prall gefüllte Brusttasche. Die Zähne schief, aber er lacht viel, erzählt viel und lässt sich auch von B.s hartnäckigem Feilschen nicht aus der Ruhe bringen, schenkt mir schließlich eine Monatsmiete. Bei Preisverhandlungen merke ich von meinen arabischen Genen leider nicht viel...

Der Umzug von Freund Leroy läuft ebenso entspannt. Ich leihe den Bollerwagen von J., den wir voll packen mit Katzenstreu und Klo, Sitzsack, Spielzeug und Futter. Oben drauf thront der Pelz im Korb. Guckt durch die Stäbe und gibt kein Tönchen von sich, während wir ihn zweimal um die Ecke und die Straße entlang ziehen.

In der Wohnung kommt er erst raus, als wir ihn rufen. Tapert durch die Wohnung, schnuppert hier, guckt da, ganz entspannt. Nimmt Katzenklo und Futterstelle zur Kenntnis, benutzt sie aber nicht. Die beiden haben extra geputzt für ihn, in den Fensterbänken liegen Kissen bereit. Ich werde zum Essen eingeladen und bleibe gern. Noch ist alles in Ordnung, denn Freunde besucht haben der Kater und ich schon ein paar Mal. A. bringt mich nach Hause, um mir beim Verstauen des Bollerwagens zu helfen. Durchs Fenster winkt J., ich lese auf ihren Lippen „Er mauzt“. Armer Schatz. Auf den Balkon zu gehen und ihn nicht rufen zu können, ist auch ein seltsames Gefühl.

Zu Hause Packen, die neue Tasche, natürlich viel zu voll. Morgen Frühschicht, verlängert wegen der Loveparade. Danach Zug fahren, vielleicht ein bisschen schlafen, lesen, denken bis Erfurt. Mein Bruder schickt ein Foto von sich per Handy: „Fahndungsfoto ;-)“, er grinst von unten in die Kamera. Wir haben scheinbar fast die selber Frisur zurzeit. Seine Augenbrauen erkenne ich als meine wieder.

Es ist kein Wunder, dass heute Tränen kamen. Es ändert sich so viel, so schnell. Das bisschen Traurigkeit über die vielen kleinen Abschiede jeden Tag summiert sich und bahnt sich einen Weg. Das bisschen Angst vor den ungeklärten Fragen und neuen Wegen gibt zusätzlich Druck auf die Tränenkanäle. Ich lass es fließen und fühle mich leichter. Morgen ist ein neuer Tag.

Donnerstag, 23. August 2007


Es war ein kurzer Tag, weil er spät begann. Um sieben ins Bett, um eins aufgewacht. Wasser aufsetzen, ins Bad gehen, Computer anschalten, Kater füttern, Kaffee überbrühen, Nachrichten abrufen und beantworten. Ein sehr alltäglicher Start.

T. kommt vorbei, weil er gestern sein Telefon bei mir vergessen hat. J. stolpert rein, erzählt von den Dreads, die er dem Typ, der grade in seiner Wohnung schläft, macht und von den Drogen, die dieser mitgebracht hat. Ich bin anti, weil ich mich sorge. Nötig ist das vielleicht nicht, denn bisher hilft immer Papa. Ich mache mir trotzdem meine Gedanken um Scheitern und Absturz. Ich verpacke schon wieder Pflanzen und kriege den Monsterkaktus wohl los. In meinem Daumen stecken zwei Stachelspitzen, es fühlt sich ein wenig dick an und tut ein bisschen weh, wenn ich drauf drücke – was bei Daumenspitzen ja irgendwie ständig passiert. Ich hoffe, ich muss nicht in den nächsten Tagen mit medizinischem Vokabular um mich werfen und von lustigen Aufschneid- und Rauspulaktionen berichten.

Ich sortiere Schuhe aus, Klamotten. Dinge, die man mal eben so erledigen will, weil man gerade davor steht. Und die man sonst auf später verschiebt, wenn man mal wieder vor ihnen steht. Und plötzlich ist schon wieder so viel Zeit rum. Ich habe meinen Beitrag fertig geschrieben und abgeschickt. Mich noch mal über umziehende Katzen schlau gemacht und andere Internetbekanntschaften gepflegt. Dann kam Herr A., ein potenzieller Nachmieter. Sein Bierschweiß war so aufdringlich, dass ich kurz darüber nachdachte, ob ich überhaupt mit ihm in einer Wohnung sein will. Zu seinem Pech hatte es zudem gerade heftig geregnet, sein Gesicht war klatschnass. Auf die Idee, ihm ein Handtuch anzubieten, kam ich nicht, so abstoßend fand ich ihn. Was sagt das nun wiederum über meine Fähigkeit zur Nächstenliebe aus? Und will wirklich jemand lesen, wie ich was, wo und wann erledigt habe?

Am Abend gibt A. seinen Ausstand, bevor er für zwei Monate auf die Insel verschwindet, beim Treff mit ein paar Freunden. Ich komme zu spät und doch eigentlich gerade recht. Eine Runde aus Menschen, die sich gut zu kennen scheinen. Ich falle – auch mehr versehentlich – mit meinen Bestellungen aus dem Rahmen. Nur ich hab einen Cocktail, mein Sandwich hat zwei wackelige Etagen und bereitet mehr Probleme beim Essen als ihre überbackenen Toasts. Wir witzeln darüber. Kurz vor Mitternacht verabschiede ich mich, rufe C. an, die mich auch treffen wollte.

Sie lädt mich ein, sagt allerdings nichts von dem Jungen, den ich gleich in ihrer Wohnung treffen werde. Wir sitzen zusammen, rauchen und reden und verstehen uns gut. Nachdem er gegangen ist, sprechen wir noch ein wenig weiter. Die Männer und die Familie – nicht enden wollender Gesprächsstoff. Und oft dreht man sich im Kreis, weil die Wünsche und Sehnsüchte einfach nicht einsehen wollen, dass sie fehl am Platz sind und anderen, unerwartet guten Dingen möglicherweise die Chance stehlen. Nur manchmal macht es vielleicht Klick oder Klack oder Bim und der Kreislauf wird durchbrochen, bis zum nächsten Mal.

al-huub heißt die Liebe. Der Kater liegt neben mir. Zum letzten Mal für lange Zeit; in den vergangenen zehn Jahren waren wir fast täglich zusammen. Ich streichle ihn kurz, er gurrt und dreht sich genüsslich auf den Rücken, schnarchseufzt noch einmal, zuckt mit den Ohren und schläft weiter. Habibi heißt mein Schatz.

Mittwoch, 22. August 2007

Der Umzug hat ein erstes Opfer gefordert. Der riesige Kaktus, den J. gefunden, durch die Nordstadt getragen und mir vor die Wohnungstür gestellt hatte, ist gekippt, gefallen und zerbrochen. Ein Massaker in meinem Schlafzimmer. Ob die Frau, die ihn künftig hegen wollte, ihn jetzt noch nimmt? Die meisten Pflanzen sind schon weg, per Post oder Rad zu den neuen Besitzern.

Der Kater zieht schon Freitag aus. Zu kompliziert zu erklären, aber es ist besser für ihn. Ich werd ihn schrecklich vermissen. Keine warme, atmende Fellkugel mehr nachts neben mir.

Ich hab ein Interview geführt, über die Macherin der ersten multikulturellen Frauenzeitschrift für Deutschland. Habe telefoniert und war eifersüchtig. Habe Pflanzen zerlegt, die meisten tatsächlich absichtlich, und dabei mit B. über Superfrauen, Rennrahmen und Umzugskartons diskutiert. Traf T., den ich lange nicht gesehen hatte, kochte, rauchte und sprach mit ihm und schenkte ihm natürlich Pflanzen.

Er geht auch weg von hier. Im Gegensatz zu mir voraussichtlich für immer. Sein neuer Arbeitgeber ist eine Umweltschutzorganisation, das Geld kommt vom Arbeitsamt. Den Anstoß für diese Entwicklung gab seine Entdeckung, dass andere Menschen noch immer Liebe zu verschenken haben. Er hatte sich verliebt und kam plötzlich in Schwung. Ich dagegen scheine die Liebe zu meiden; suche immer die aus, die ohnehin nicht bleiben wollen, und weise die anderen ab.

Danach noch eine Nachtschicht. Es war so ruhig, dass ich ein paar kostenlose Wohnungsanzeigen im Internet schalten konnte. Dann stürzte ein Betontransporter um und ich hatte doch noch etwas zu erzählen bei der Übergabe.

Ich bin gerade so müde, dass meine Augenlider tatsächlich Halbmast flaggen. Sie werden hin und wieder regelrecht nach unten gezogen und zwar immer dann, wenn ich mich nicht mehr wirklich konzentriere, also fast im Sekundentakt ;)

Eine Frau sagt ana tabaana und meint „Ich bin müde.“, ein Mann sagt ana tabaan.

Dienstag, 21. August 2007

Gerade habe ich meinem Kater mit einem Leckerchen das Leben gerettet. Das ist zumindest ein schöner erster Satz für die folgende Geschichte: Schon im Hausflur hatte mein felider Mitbewohner sich seltsam benommen, aber ich hatte es auf die Spinnweben zurückgeführt, die ihm im Bart und an den Ohren hingen und sicher aus seinem Unterschlupf irgendwo im Hof des Häuserblocks stammten. Es hatte geregnet, den ganzen Abend. So sehr, dass es manchmal aussah, als hielte jemand einen überdimensionierten Duschkopf mit vollem Wasserdruck über uns, wie eine Wand aus Wasserstrahlen. Doch nachdem ich halb gegen seinen Willen die Spinnweben entfernt hatte und er über seinem Fressen stand, tat er es wieder. Zog die Lefzen, das heißt die oberen Lippen, ganz hoch, so dass man seine schönen weißen Eckzähne sehen konnte und wischte mit der Pfote darüber. Ich tippte auf eine Verletzung im Mund, eine Vergiftung gar, denn die Lust auf Fressen verging ihm über den krampfhaften Bewegungen. Des Rätsels Lösung: Ein Knochenstück, wahrscheinlich Huhn; das er auswürgte, nachdem er das Trockenfutterbällchen – mit dem ich ihn eigentlich nur wieder unter dem Bett hervorlocken wollte – halb gefressen hatte. Schön mitten ins Futter rein. Denn mit dem Leckerchen war der Appetit auf das Nassfutter in der Küche wieder geweckt. Es wurde verputzt, dann wurde sich geputzt, dann wurde groß getan, jetzt schläft er zu meinen Füßen, noch nicht ganz entspannt.

Ich habe den Tag damit verbracht, Kleinscheiß zu erledigen. Wohnungsanzeigen an den Unis aufhängen, nach einer Sprechstunde schauen, noch eine Tasche kaufen – für Laptop, Bücher und was ich so den ganzen Tag brauchen werde – Tesa, Kordel, Cutter dazu, Paketklebeband war leider aus. Dann zur Arbeit. Der Chef ruft mich rein und ich bin sicher, dass ich nichts verbockt habe, und trotzdem irgendwie nervös. Ich soll nur länger arbeiten am Samstag. Die Loveparade kommt ins Ruhrgebiet und alle erwarten Andrang und Trubel. Ich bin für Technobeats und Menschenmassen nicht mehr wirklich zu haben seit ich in Berlin fast überrannt wurde und danach erst im Tierpark und dann auf ner merkwürdigen Danach-Party landete. Die mehrheitlich mit Jungs besetzte Runde schaute Videos der Paraden aus den vergangenen Jahren an, gesprochen wurde nicht viel und wenn recht ruppig. Ich blieb, weil ich verliebt war. Irgendwann landeten wir in der Küche und irgendwann dann gingen wir endlich. Die Ruhr-Loveparade wollte ich also eh nicht sehen, stattdessen war ich froh, noch kein Ticket für den Besuch bei meinem Bruder gekauft zu haben.

Ich treffe ein paar Leute, die ich kenne. Wir lachen uns an, freuen uns, haben aber meist schon wieder fast vergessen, was unser Gegenüber beim letzten Mal erzählt hatte. Ich nehme mir wieder vor, nicht mehr peinlich berührt zu sein, wenn sich bei mir solche Gedächtnislücken auftun, und nicht mehr die Augen zu verdrehen, wenn die Leute glauben, dass ich in den Jemen fahre. Denn das ist ja auch alles nicht so einfach. Im Jemen war ich schließlich schon und habe davon erzählt. Außerdem beginnt Jordanien auch mit J. Würde ich nach Ägypten fahren, wäre sicher alles einfacher ;)

Ich bin müde und habe morgen wieder viel zu tun. Arabisch habe ich wieder nicht lernen können. Deshalb heute einfach ein paar Tiere, passend zur Geschichte. Katze – kitta, Hund – kalb, Maus – fuur, Kaninchen – arnab, Hahn – diik, Huhn – dadschidschi, Ente – ba’ta, Esel – himaar, Schaf – dscharuf.

Montag, 20. August 2007

Zwei Tage geschrieben, zwei Tage nicht. Was das wohl über die Lebensfähigkeit meines Blogs aussagt? Jedenfalls sitze ich heute schon mittags am Laptop, damit nicht auch der dritte Tag ohne Lebenszeichen verstreicht.

Das Wochenende war voll mit Menschen. Wir haben geredet, geraucht, getrunken und getanzt, was man halt so macht, wenn man sich nachts trifft. Der Kater hat seine neue Dosenöffnerin kennengelernt. Sie setzte sich sofort auf den Boden und er sich auf ihren Schoß. Perfekt. Und ihre Augen leuchteten wirklich vor Freude. Sicher wird er die ersten Tage leiden; neue Wohnung, falsches Frauchen. Aber irgendwie bin ich sicher, dass er dort das beste Heim haben wird, das ich nur finden konnte. Und Katernews per Internet wurden versprochen ;) Bei einer anderen Freundin haben wir die Fensterbänke mit Grün gefüllt. Meine sind allerdings noch immer bedrohlich voll. Die ersten Kisten sind probehalber gepackt. Die Lageristen werden gleich angerufen. Die Zettel für die schwarzen Bretter der Hochschulen, Kneipen und Supermärkte sind ausgedruckt.

Aus Jordanien kam eine Mail. Eine Telefonnummer zum Deutschen Archäologischen Institut, das bei der Wohnungsvermittlung helfen kann. Ein Zimmer bei einer älteren Frau für 210 jordanische Dinar. Und vielleicht ein netter Kontakt, mit dem sich Zeit verbringen und Arabisch üben lässt. Zeit für die Sprache oder die drei Bällchen finde ich gerade nicht.

Es ist als nähme ich einen Abschied auf Zeit. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es sein wird ohne meine kleine Welt. Und ich kann mir nicht vorstellen, wie ich sie sehen werde, wenn ich zurück komme. Aber ich mag das Gefühl.

Es ist so viel zu tun, dass ich jetzt nicht weiterschreiben mag. Vielleicht kommen später noch ein paar Worte dazu.

Achja, die Zahlen von eins bis zehn, weil ich sie im Keller meines Leib- und Seele-Ladens zu lauter Musik aufgezählt habe. Von Null bis Zehn: sifr, wahid, ithnaan, thalata, arba’a, chamsa, sitta, saba’a, thamaania, tisa’a, a’schara – th wird wie das englische th gesprochen, ch wie in machen, bei a’a und co macht man eine winzige Pause zwischen den beiden Buchstaben, die Vokale werden zum Teil kehlig gesprochen, aber diese Darstellung krieg ich noch nicht so richtig hin, zu allem verwirrenden Überfluss unterscheidet sich die Aussprache von Region zu Region…

Freitag, 17. August 2007

Die Entscheidung ist gefallen. Ich ziehe aus.

Telefonnummern für Lagerhäuser hab ich schon. Einen oder zwei Nachmieter zu finden, sollte zum Semesterbeginn so schwer nicht sein. Der Kater darf wohl bei zwei Freundinnen wohnen. Die ersten Pflanzen sind schon verschenkt. Mit zwei Fahrrädern haben wir Minzen und Albizzien, die Streli und den Geldbaum durch de Nordstadt geschoben. Wir waren gerade in der Wohnung angekommen, da brach wieder ein Wolkenbruch los. Seltsames Wetter.

Mit meinem Bruder habe ich heute ausgemacht, dass wir uns am letzten Augustwochenende zum ersten Mal sehen. Danach noch meinen Opa besuchen. Die neue Tasche, für die er mir Geld zugesteckt hatte – so unauffällig, dass ich erst nicht verstand, warum sein Abschiedshändedruck sich wie Papier anfühlte – wird sicher seinen Geschmack treffen. Dann eine Woche für den Auszug und das Packen. Ich muss vorher schon anfangen. Die Bücher füllen eine Wand.

Während C. da war, rief die Jordanien-Koordinatorin von amnesty international Deutschland an. Über die Jordan Times-Journalistin Rana Husseini, der ich wenige Stunden zuvor geschrieben hatte, sagt sie, dass diese großen Anteil an der jordanischen Debatte über Frauenrechte und Ehrenmorde in Jordanien hat. Die Frauenbewegung sei „sehr gespalten“, vor allem die Vertreterinnen im Parlament verweigerten unter anderem die Abschaffung von Paragraphen, die unterschiedliche Strafmaße für den Mord am Ehepartner für Frauen und Männer zulassen, oder die Einrichtung von Frauenschutzhäusern. Sie nennt mir noch andere Namen, will mir E-Mail-Adressen der amnesty-Gruppen in Jordanien schicken.

Weibliche Genitalverstümmelung, sagt sie, gibt es in Jordanien nicht. Die Existenz dieser massiven körperlichen Verletzung von Frauen in anderen muslimischen Ländern wie Ägypten, Marokko, Jemen oder Oman erklärt sie durch den Import aus Schwarzafrika und alte Traditionen. Die Studie des deutschen Vereins WADI im Nordirak, nach dem in einigen kurdischen Dörfern über 90 Prozent der Frauen durch eine so genannte Beschneidung verstümmelt sind, kennt sie nicht. Ich finde es schrecklich, dass ich mich mit diesem Thema beschäftigen muss. So oft ich auch glaube, dass ich für unsoziales Verhalten Erklärungen und damit zumindest in Teilen Entschuldigungen finden kann – hier höre ich auf zu verstehen. Sex mit einer vor Schmerz wimmernden Frau kann doch nicht befriedigend sein. Wie erbärmlich klein und hilflos muss sich jemand fühlen, der aus seiner Macht über dieses Leid Lust gewinnt? Dass vor allem im ländlichen Raum sehr viele Kinder sexuell missbraucht werden, so ein anderer Bericht einer Menschenrechtsorganisation im Netz, berührt mich scheinbar weniger, vielleicht weil es mir fast normal erscheint, weil alle paar Wochen ein Kinderschinder durchs mediale Dorf gehetzt wird. Vielleicht auch, weil der Missbrauch in den meisten Fällen vor allem seelische Narben hinterlässt, der Körper jedoch zu normalem Empfinden weiterhin fähig ist. Entschuldigungen für Pädophilie zu finden, fällt mir jedoch ebenso schwer, mein Verständnis reicht nie für mehr als für Ansätze von Erklärungen.

Gleich gehe ich noch aus. B. und A. treffen sich mit Freunden in einem Laden, in den ich schon seit über einem Jahr immer mal gehen will. Dabei würde ich lieber tanzen und trinken als sitzen und reden, aber die Nacht ist ja noch jung. Es ist kurz vor eins.

Mittwoch, 15. August 2007

Ein Blog mehr also. Einer, der nicht verwaist in den Tiefen des weltweiten Netzes herumdümpelt. Jetzt ist die rechte Gelegenheit. Ich gehe auf Reisen.

Zurzeit schlage ich mich durch den Vorbereitungsparcours. Krankenversicherung? Reisetasche? Wohnung auflösen oder behalten? Der Kater bei liebevollen Händen? Wann soll ich nur noch Zeit für all die Menschen finden, die ich nach dem Abflug vermissen werde?

Mit B. fachsimpelte ich heute im Taschenfachgeschäft, das ein mich verblüffendes, breites Angebot von günstig bis superedeloberteuer im Untergeschoss ausstellt, über Rollgeräusche, Bodenverstärkung und Griffstabilität. Wir taten das derart überzeugend, dass andere Kunden einem von uns auch gerne Fragen stellen wollten. Wem von uns beiden, konnten wir nicht so genau ausmachen. Das Ergebnis unserer Beratung und meiner Preisvergleiche am Tag vorher ist eine grundseriöse Samsonite. Und ich muss einfach anmerken, dass ich vor noch nicht allzu langer Zeit einen Freund wegen der Marke seines Koffers auslachte. Jetzt habe ich die gleiche Marke gekauft. Ein bisschen peinlich ist mir das schon. Aber manche scheinbar festen Prinzipien muss man wohl brechen, hin und wieder zumindest.

Ich will also festhalten, was täglich passiert. Um mich später besser daran zu erinnern. Um Freunde teilhaben zu lassen, damit sie sich keine Sorgen machen. Und schließlich für die ganze Welt, zumindest potenziell. Info-poor und info-rich, Verbreitung der deutschen Sprache und solche Sachen… Tagebuch zu schreiben ist schon eine zweischneidige Sache. Man schreibt, um Gedanken festzuhalten, die niemand erfahren soll. Und zugleich denkt man doch später Lesende mit, den Verehrten vielleicht oder die eigenen Kinder, die Enkel, die Nachgeborenen; bei jedem Wort, vielleicht nur nicht mehr im raschesten, leidenschaftlichen Fluss. Ein Blog dagegen, das öffentliche Tagebuch, ist der eigene, erinnerte Tag, aufgeschrieben für fremde Augen. Diese Erinnerungen sind in jedem Fall verformt durch das Wissen um die und auch durch das Nicht-Wissen über die Zusammensetzung der Mitleser/innen.

Das hier ist ein Versuch. Ich reise nach Jordanien. Ich will Arabisch lernen, Menschen treffen und arbeiten. Arbeiten heißt in meinem Fall: Fragen stellen, die Antworten zu einem großen Ganzen zusammenfügen und dann in kleinen Geschichten erzählen. Meine bisher längste Urlaubsreise dauerte vier Wochen. Frankreich, Fahrrad, fieser Gegenwind. Ich denke gern daran zurück. Für sieben Monate Deutschland zu verlassen, hat eine andere Qualität und von Zeit zu Zeit rutscht mir beim Gedanken daran das Herz ein Stück tiefer und schlägt unbequem durch die Bauchdecke. Aber ich bin fest entschlossen, diesen Ort zu verlassen (allerdings nicht: (…) und alles zu hassen; Die Sterne) und in Amman ein Heim auf Zeit zu finden.

Eine Freundin gab mir den Rat, schon jetzt mit dem Schreiben anzufangen. Ins Netz stellen will ich die bis dahin entstehenden Texte jedoch erst, wenn ich Jordanien bin. Die langen Ladezeiten meiner deutschen E-Mail-Postfächer in jemenitischen Internetcafés habe ich lebhaft in Erinnerung, meinen währenddessen munter über yahoo chattenden Vater auch. Der schönste Blog nützt ja nix, wenn ich ihn nur von Deutschland aus pflegen kann.

Also nehme ich mir jetzt mal vor, die Tücken der Reisevorbereitungen täglich mit ein paar Sätzen zu kommentieren.

Außerdem hoffe ich auf die Kategorie „Lieblingswort“ während des Sprachkurses. Ein kleiner Vorgeschmack: Dummheit und Reichtum liegen im Arabischen gefährlich nah beieinander. Dumm heißt rabii, das Wort für reich ist ranii. Die weiblichen Formen sind übrigens rabia beziehungsweise rania. Und wie heißt die Frau des jordanischen Königs? 99 Gummipunkte für Rania. Laut des Magazins der Süddeutschen Zeitung ein Mahagoni-Mädchen. Obwohl sie durchaus in dem Alter ist, eine Frau genannt zu werden…