Samstag, 23. Juni 2012

Warten. Ganz Ägypten wartet. Der Name des neuen Präsidenten sollte längst bekannt sein, aber die Wahlkommission verschiebt die Verkündung immer wieder. Nun also vielleicht morgen, 15 Uhr. Shafiq oder Mursi, Felul oder Bruder, Mubarak-Minister oder Islamist? Egal mit wem ich rede - niemand ist sich seiner Prognose sicher. Sicher sind wir nur über eins: Es ist eine strategische Verzögerung. Warum? Weil Präsident Shafiq enormen Protest ernten wird und Präsident Mursi dem herrschenden Militärrat nicht genehm ist und weil die Differenz in den erhaltenen Stimmen, nach allem was man bisher weiß, extrem knapp ist.

Der Tahrir ist wieder voll - vor allem Anhänger der Muslimbrüder, an anderer Stelle demonstrieren Shafiq-Anhänger und Freunde von mir fragen auf Facebook: "Warum das? Kriegt ihr Geld dafür?". Hinter den Kulissen versuchen Militärrat und Muslimbrüder sich zu einigen. Im Staatsfernsehen versucht die alte Garde die alten Tricks:
A state TV presenter has accused his superiors of slanting coverage in favor of the ruling Supreme Council of Armed Forces and presidential candidate Ahmed Shafiq. (...) Abdel Wahab said the director of the program directed him to broadcast the protests in Nasr city in support of the ruling Supreme Council of the Armed Forces and presidential candidate Ahmed Shafiq, and to ignore the much larger gathering of protesters in Tahrir Square. Abdel Wahab said he maintained that both shots should alternate on screen, because “they are both Egyptians." He said he told his manager:" Please, sir, excuse me, but can we please have ten seconds of Nasr (city) and ten seconds of Tahrir”.

Und ich hatte gestern die beängstigenste und zugleich lustigste Taxifahrt ever: Der ältere Fahrer wollte unbedingt über den Tahrir fahren, was ich eigentlich hatte vermeiden wollen. Dann mitten in der Menge, die nunmal vor allem aus Anhängern von Mohammed Mursi bestand, machte er sich einen Spaß daraus, allen Vorbeilaufenden "Ahmed Mursi" entgegenzurufen. Klare Ansage: Ob nun Ahmed Shafiq oder Mohammed Mursi, das ist alles der gleiche Mist. Und ich saß hinten drin und wäre zunächst am liebsten zwischen den Sitzen verschwunden Aber nachdem ich merkte, dass er nicht nur einen Heidenspaß hatte, sondern dass auch niemand aggressiv reagierte, konnte ich nicht anders: Ich giggelte den Rest der Fahrt und sicher noch eine halbe Stunde später.

Jetzt sollte ich schlafen, aber zuvor noch zwei youtube-Leckerbissen.

Die Gesänge der Fußballfans Ultras Ahlawi habe ich erst vor kurzem live und nah erlebt. Dass sie bengalisches Feuer mitten in der Menschenmenge abbrannten, fand ich eher befremdlich, ihren freundschaftlichen-ruppigen Umgang miteinander und die von ihnen ausgehende Energie dagegen mehr als sympathisch. Video vom April 2012, der Song ist weiterhin hochaktuell.



Und ein seltsam-peinlicher Werbespot, der vor gut zwei Wochen sowohl von staatlichen wie auch privaten Medien verbreitet wurde, einen Twitter- und Facebook-Aufschrei verursachte und dann mit Begründungen wie "Der Spot könnte missverstanden werden" und "Er könnte dem Tourismus in Ägypten schaden" zurückgezogen. Seitdem fangen wir immer an zu lachen, wenn einer von uns "really?" sagt - und das kommt relativ häufig vor. Der junge Mann, der den Spion spielt, wurde via soziale Netzwerke ausfindig gemacht und konnte danach sein Haus nicht mehr verlassen. So hatte er sich Berühmtheit sicher nicht vorgestellt, die arme Socke...