Montag, 13. Februar 2012

Noch am Donnerstag habe ich einen Anruf bekommen. Der Generalstreik ab Samstag wird groß, hol genug Geld von der Bank, kauf Nahrungsmittel, Wasser, Telefonguthaben. Die Anruferin hatte die Revolutionstage miterlebt, ist seit Jahren in Ägypten, kennt viele Leute. Mir kam die Warnung zwar übertrieben vor, aber ich ging trotzdem zur Bank und einkaufen. Am Abend fragte ich einen ägyptischen Freund, der politisch aktiv und involviert ist, wie er die Lage einschätze. Die Antwort hätte nicht konträrer ausfallen können. Nichts werde passieren, kein Streik, keine Demos, kein ziviler Ungehorsam.
Die deutsche Botschaft rührte sich nicht. Die kanadische Botschaft schickte eine Warnung, dass  Strom, Gas und Wasser gekappt werden könnten. Meine Facebook-Nachrichtenseite quoll über von Meldungen darüber, wer sich dem Streik angeschlossen habe. Der Verkäufer in der Drogerie erklärte mir am Freitag, dass er noch nicht entschieden habe, ob er öffne oder nicht. Für meinen Zigaretten- und Nussverkäufer war es dagegen gar keine Frage, dass sein Laden am nächsten Tag geöffnet ist. Eine Journalistin meinte: „Wenn du wirklich sehen willst, wie wir an Stresstagen arbeiten, dann komm am Samstag in die Redaktion.“
Das hab ich dann auch gemacht.
Die Straßen waren so leer wie an jedem Samstag, Busse und Metro fuhren wie gewohnt, die Straßenhändler standen an ihren üblichen Plätzen, die meisten Läden waren geöffnet. In der Redaktion warteten sie auf Nachrichten über den Streik, von Chaos und Stress keine Spur. Zwei Reporter kamen aus den Universitäten und konnten berichten, dass Demonstrationen stattgefunden hatten, die Teilnehmerzahlen waren aber gering. Naja, das Semester fängt ja grade erst an, Samstag gehört eigentlich noch zum Wochenende, der richtige Streik startet sicher morgen.
Weder Sonntag, noch Montag konnte ich was von zivilem Ungehorsam und Streik sehen oder hören  - wenn man davon absieht, dass die meisten Zeitungen über ein Scheitern der Initiative berichteten und die beiden englischen Nachrichtenportale Egypt Independent und Ahram online den vereinzelten Streiks an den Universitäten ihre Aufmerksamkeit widmeten.
Ein Taxifahrer erklärte mir, dass die Leute am Tahrir doch alle bezahlt und keine Revolutionäre seien und jetzt endlich mal Ruhe einkehren müsse. (Ein Gespräch in einer Redaktion drehte sich übrigens darum, dass alle Taxifahrer vom Geheimdienst dafür bezahlt würden, eine jeweils genehme Meinung kundzutun.) Ein junger Mann im Café versicherte mir, dass die Übergangsperiode gut laufe, dass wohl die Wirtschaft gelitten habe, es aber doch niemandem wirklich schlechter gehe, selbst die armen Leute würden schließlich täglich ihr Essen kaufen.
Im Interview für die Diss wurde ich von einem Journalisten aufgefordert, das Aufnahmegerät auszuschalten als ich nach Interna in einer staatlichen Zeitung fragte. Von einem anderen bekam ich zu hören, dass eine Reform der staatlichen Medien schlechterdings möglich sei, weil alle leitenden Positionen mit Bastarden [sic] besetzt seien, die ihre Privilegien mit allen Mitteln verteidigten. Die privaten Zeitungen bekamen auch ihr Fett weg und zwar vom Feinsten.
Danach wollte ich nur noch schlafen, habe mich dann aber doch noch aufgerafft und bin mit Freunden essen gegangen. Traf einen weiteren jungen Aktivisten und ließ mir seine Sicht der Dinge erzählen. Positiv müsse man sein, sonst verändere sich doch nichts. Und dass die traditionellen Medien so negativ über den Streik und den zivilen Ungehorsam berichteten, sei doch ein gutes Zeichen. Es zeige, dass das Regime Angst vor weiteren Protesten habe. Verlässlich seien im Augenblick nur die sozialen Netzwerke – eine Aussage, die ich schon häufiger gehört habe – im Laufe der Zeit habe er gelernt, welchen Quellen er dort vertrauen könne. Als ich eine seiner Nachrichten nachprüfen wollte, ließ sich allerdings nichts darüber finden – nur Berichte über ähnliche Ereignisse 2010 und 2011.
Und während ich so herumsurfte und -las, sprang mir ein weiteres Video aus dem Inneren des ägyptischen Staatsfernsehens auf den Schirm. Eine weiteres Mal sollen Journalisten vor dem Büro des Informationsministers protestiert haben, diesmal nicht von Nile News, sondern vom dritten Kanal. Heute und zwar im Zusammenhang mit den Aufrufen zum Generalstreik. Sie rufen unter anderem (grob und nur teilweise übersetzt, weil ich hier keinen Mist schreiben will und bei den anderen Sachen nicht sicher bin, ob ich sie wirklich richtig verstanden habe...) "Wir sind die Mehrheit", "Wir sind ein Land", und die Klassiker "Verschwinde. Verstehst du nicht, das heißt, du musst gehen" und  "Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit" in einem anderen Ausschnitt, allerdings kein "Nieder mit dem Militärregime".



Das ergibt kein einheitliches Bild? Willkommen in meiner Welt ;)