Mittwoch, 25. Januar 2012

Heute, Midan al-Tahrir, Jahrestag der Revolution.
Die einen kamen, um zu feiern. Die anderen, um die ursprünglichen Ziele der Revolution einzufordern. Das Resultat waren mehrere Bühnen, auf denen sich die unterschiedlichen politischen Gruppierungen Ägyptens präsentierten. Man könnte es natürlich als Fortschritt bezeichnen, dass sich die politische Landschaft differenziert. Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament lassen jedoch Befürchtungen unter den liberalen Kräften des Landes wachsen, dass die Muslimbrüder mit ihrer klaren Mehrheit im Parlament und ihren guten Beziehungen zum derzeit noch herrschenden Militärrat sich zu einer neuen NDP, Mubaraks Partei, entwickeln.

So lange ich auf dem Platz war, war die Stimmung friedlich und entspannt, obwohl der Platz vor Leuten überquoll und es zum Teil extrem eng war. Manchem Revolutionär und den Angehörigen der Toten der Revolution war die Stimmung viel zu glücklich. Sie waren zum Protestieren gekommen, gegen den Verlauf der Transitionsperiode, die Verschleppung der Wahlen, das Verhalten des Militärs. Aber der Tahrir hat heute keineswegs mit einer Stimme gesprochen. Protest und Jubel lagen wenige Meter von einander entfernt.

Zudem wurde meine Mitbewohnerin zweimal fies begrabscht und auf Twitter konnte man von weiteren derartigen Vorfällen lesen. So soll eine ausländische Journalistin von knapp hundert Männern verfolgt und derart massiv sexuell belästigt worden sein, dass sie in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Wie schon im letzten Post geschrieben: In Sachen Gleichberechtigung ist der Weg noch extrem lang. Frauen sind keine minderwertigen Sexobjekte, dieser Gedanke muss in allen ägyptischen Köpfen ankommen.


Am meisten beeindruckt hat mich eine erneute Demonstration vor dem Gebäude des staatlichen Fernseh- und Radiogebäudes Maspero/Maspiro - an der ich nicht teilgenommen habe! Während unseres Abendessens meinte eine ägyptische Bekannte zu mir "Wir müssen Maspiro niederbrennen" und ich schäme mich ein bisschen für meine Antwort, dass sie das nicht könnten. Was ich meinte, war das massive Sicherheitsaufgebot vor und in dem Gebäude, das jeden Versuch einer gewaltsamen Übernahme extrem blutig enden lassen würde. Zu sehr habe ich noch die Bilder von der Zerschlagung einer koptischen Demonstration Anfang Oktober 2011 mit 27 Toten im Kopf. Jetzt, nach Mitternacht, lese ich, dass mehrere hundert Leute dort protestiert haben und bisher alles friedlich geblieben ist.
Warum das wichtig ist? Weil staatliches Fernsehen in einem Land mit einer Analphabetenraten von rund 30 Prozent die wichtigste Informationsquelle ist und das Fernsehen noch immer vor allem ein Werkzeug des herrschenden Regimes ist. Das war nicht nur während der Revolutionstage 2011 zu sehen, als die Proteste zunächst totgeschwiegen wurden, sondern auch wieder im November und Dezember 2011 als die Proteste als Gewaltexzesse und Versuche, das Land zu zerstören, diskreditiert wurden. Der Widerstand innerhalb des Gebäudes wächst,  und Journalisten fordern mehr redaktionelle Freiheit und das Ende der Zensur durch Vertreter des Militärs. Mir scheint es jedoch mittlerweile so, dass sich ohne den weiteren Druck der Straßen und Plätze hier politisch nichts nach vorne bewegt.

Saubermachen nach dem Regen:



Die Brücke zur Freiheit. Die Märtyrer der Revolution.








 Ein Bauer und seine Familie in der Mitte des Platzes.


Pause.

Gebete ...
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... und Fahnen.