Freitag, 20. Januar 2012

Nachdem ich ja im November/Dezember es tunlichst vermieden habe, an Freitagen auf den Tahrir zu gehen, habe ich es nun doch getan. Dafür gibt es vielfältige Gründe - der Hauptgrund ist wohl, dass es sich um eine reine Frauen-Demonstration handelte und ich davon ausgehen konnte, nicht sexuell belästigt zu werden. Zudem kenne ich mittlerweile ein paar Leute und musste nicht allein gehen. Und ich habe den Eindruck, dass ich mich mittlerweile natürlicher und freier durch die Stadt bewege, und fühle mich wohler.

Warum ein Frauenmarsch?
Die Frage durfte ich schon am Abend vorher mit einem ägyptischen Bekannten diskutieren, der mir erklärte, dass es in Ägypten doch eher die Männer seien, die für ihre Gleichberechtigung kämpfen müssten. Frauen dagegen hätten doch alle Rechte, die sie brauchen. Die Tatsache, dass sie sich nicht frei bewegen können, wollte der junge Mann, der gut ausgebildet ist, länger in Deutschland gelebt hat und aus einer reichen Familie kommt, von Anfang an aus der Diskussion ausschließen. Ausreden lassen, wollte er mich auch nicht. Sei's drum, ich wollte keinen Streit vom Zaun brechen und habe mir deshalb nur erlaubt, das letzte Wort zu haben.

Waren und sind Frauen stark in der Protestbewegung vertreten, fehlen sie in der "offiziellen" politischen Landschaft fast völlig. Gerade mal 10 Frauen haben es in das knapp 500-köpfige Parlament geschafft. Auslöser für die seperaten Proteste sind aber vor allem Bilder einer jungen Frau, die von Soldaten im Dezember verprügelt und getreten, über die Straße geschleift und dabei fast komplett entblößt wurde. Die Fotos gingen um die Welt (Ihr könnte sie im Video des Posts vom 16. Januar nochmal sehen).

Was mich irritiert hat, war die Tatsache, dass es offenbar nötig war, die Demo durch eine von Männern gebildete menschliche Kette zu beschützen. "Schön", fand eine deutsche Bekannte die solidarische Geste. Ich fühlte mich dennoch eingesperrt und fand, dass der Schutzschild dem eigentlichen Sinn des Marschs widersprach. Seinen Sinn sah ich aber spätestens ein, als ich der Männer auf dem Fußwegen gewahr wurde, die wie immer starrten und zusätzlich fotografierten. Manche mögen aus Sympathie da gestanden haben, die Mehrheit aber wohl eher nicht.



Weiterhin irritierte mich, dass vor der eigentlichen Frauendemo eine zweite, fast nur aus Männern bestehende Demonstrantengruppe lief. Ich könnte jetzt argumentieren, dass hier Kräfte vereint wurden - aber dann hätten sich doch die Züge mischen sollen. Oder, dass hier die Frauen von den Männern unterstützt wurden, weil es im Gegensatz zum ersten Marsch tatsächlich nicht so viele Teilnehmerinnen gab. Aber hätten dann nicht die Frauen voran gehen müssen?





Eine andere Sache war dann noch die Tatsache, dass beim Frage-Antwort-Spiel des Slogan-Rufens in der Regel die Männer starteten und die Frauen antworteten. Ausnahmen wie hier auf dem Bild fanden sich dann eher am Ende des Zuges, wohin die Stimmen der männlichen Einpeitscher nicht mehr so gut drangen.



Ich will hier nix schlecht reden, habe schließlich eine wunderbare Mischung ägyptischer Frauen während des Marschs gesehen, von der jungen Mutter mit Kind auf dem Arm, über die Studentin mit iPhone und offenen Haaren bis hin zur beleibten, vollverschleierten Matrone. Das war toll, keine Frage.

Vermutlich ist meine Einschätzung wieder viel zu europäisch, an westlichen Maßstäben gemessen und nicht der Situation vor Ort angepasst. Die Gleichberechtigung der Geschlechter in Ägypten scheint mir dennoch seit den Tagen im Januar/Februar 2011 nicht nur nicht von der Stelle gekommen zu sein, sondern eher Rückschritte gemacht zu haben.

Ich habe fast den gesamten Marsch als Audio-Datei aufgenommen, sitze aber noch an den Übersetzungen. Is alles nicht so einfach ;) Wenn ich alles fertig hab, werde ich es wohl hier zur Verfügung stellen - wer weiß, wer damit was anfangen kann. Ich fand jedenfalls hochspannend, wie eigentlich die Forderungen der Straße lauten, die zwischen "Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit" über "Los, Husni, sag Hussein, in der Gefängniszelle ist Platz für zwei" bis "Der Feldmarschall soll hängen" rangierten.

Und da ich in Experimentierlaune war, habe ich noch versucht ein Video zu machen. Blöderweise hatte ich vergessen, zuvor die Speicherkarte zu leeren. Deshalb nur ein 20 Sekunden-Eindruck: