Samstag, 4. Februar 2012

Wenn ich das Haus verlasse und zur Metro laufe, rieche ich Tränengas. Wenn ich den Fernseher anschalte, sehe ich Straßenschlachten. Wenn ich mich bei Facebook einlogge, werde ich mit wütenden Kommentaren überhäuft - unterbrochen von deutschen Freunden, die Fußball feiern oder Witzbilder teilen.

Ich sitze an einem kurzen Referat zum Stand der Transformation des Mediensystems und alles, was ich schreiben kann, ist "nicht ausreichend" und Zensur hier, Entlassung da, Einflussnahme dort und Bedrohung daneben.

Ich bin müde und wünsche mich zurück an den Punkt vor einem Jahr, als ich mit der Revolution mitgezittert habe und meine Hoffnungen groß waren. Als ich Kairo besuchte und jeder, der über die Revolution sprach, ein Lächeln auf dem Gesicht hatte. Als überall Fernseher liefen und die Leute gespannt hofften, dass ihr Beispiel auch in Libyen, Jemen und Syrien umgesetzt wird. Wie blauäugig mir das jetzt vorkommt.

Zurück zum Jetzt: Ich verstehe die Wut der jungen Leute, die derzeit vor dem Innenminsterium mit Steinen werfen. Verstehe, dass friedlicher Protest auf dem Tahrir nicht ausreicht, um ihre Trauer über die vielen Toten zu verarbeiten. Dass sie nicht länger gewillt sind, ihre Enttäuschung über den langsamen politischen Prozess herunterzuschlucken und zu warten, ob Parlament und Präsident beginnen, die Forderungen der Straße umzusetzen.

Dennoch: Gewalt erzeugt Gegengewalt. Und die Bilder, die derzeit über alle Bildschirme flimmern, werden die öffentliche Meinung weiter gegen die Revolution aufbringen. Egal, was die sozialen Netzwerke und Aktivisten sagen. Denn es werden eben nicht nur die Tränengasattacken und Schußwunden gezeigt, sondern auch die steinewerfenden Aktivisten. Und ich habe genug Taxifahrer befragt, um zu wissen, dass viele Leute hier sich ein Ende des Schlachtens wünschen. Bis jetzt sind erneut 12 Menschen gestorben und über 1.500 verletzt worden. - interessanter Bericht über Diskussionen in Kamfppausen

Ich habe mir gewünscht, dass Kampagnen wie die Video-Screenings von Kazeboon, mit denen die Gewalt der Militärs einer breiteren Masse von Bürgern bewusst gemacht werden sollten, und die friedlichen Proteste vor dem Fernsehgebäude gegen die voreingenommene Berichterstattung über Proteste und Militär mehr Zeit gehabt hätten, ihre Wirkung zu entfalten. Gehofft, dass mit dem Start des Parlaments ein weiterer Schritt in Richtung Demokratisierung gelungen wäre und die Aufmerksamkeit sich nun endlich auf die lange fälligen Reformen zahlreicher staatlicher Institutionen wie Polizei, Militär, Gerichtsbarkeit, Medien, Schulen und Universitäten richten würde

Stattdessen warte ich nun jeden Tag darauf, dass der Ausnahmezustand wieder verhängt wird, um ein noch härteres Durchgreifen gegen jeglichen Protest zu ermöglichen. Dass die Präsidentenwahlen doch wieder verzögert werden. Dass das Parlament seine Sitzungen absagen muss. Schlicht, dass die Revolution endgültig scheitert.

Traurig!

Ich hoffe, ich habe auch diesmal unrecht.

Kazaboon - Liars - Lügner - mit Offiziersmütze an dem wichtigesten Verwaltungsgebäude Kairos, der Mugamma.