Sonntag, 1. Januar 2012

Verwundert, dass keine Nachrichten mehr über gewaltsame Ausschreitungen aus Kairo über den Fernsehbildschirm flackern?

Ein Grund waren die Bemühungen einiger Aktivisten, die Wogen zu glätten und die wütenden jungen Männer, die sich weiterhin Straßenschlachten mit Polizei und Militär liefern wollten, zu beruhigen und davon abzuhalten. Denn Gewalt, Tote und Verletzte diskreditieren nicht nur die Revolution, sondern spielen auch denjenigen in die Hände, die glauben, dass Ägypten von keiner zivilen, demokratisch gewählte Regierung geführt werden kann, sondern die harte Hand der Militärs braucht.

Aber machen wir uns nichts vor. Der Hauptgrund waren heftige militärische Gegengewalt und das rigorose Absperren ganzer Straßenzüge nicht nur mit Stacheldraht, sondern mit massiven Betonklötzen. Das begann schon im November und wurde im Dezember fortgesetzt.



Hier ein interessanter Artikel des ägyptischen Journalisten Mohamed Elshahed zur wachsenden Präsenz von Mauern in Ägypten. Der Artikel erschien zuerst bei al-Masry al-Youm/Egypt Independent und wurde kurze Zeit später vom Freitag übersetzt und veröffentlicht. Dass Mauern zwar effektiv sein, aber die eigentlichen Probleme nicht lösen können, ist eine Einsicht, die uns Deutschland ja bereits gemacht hat.



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Die vor allem anfänglich massive Miltärpräsenz an den Sperren hat mich eine Weile davon abgehalten, mich ihnen zu nähern oder Fotos zu machen, auch wenn langsam ein Gewöhnungseffekt eintritt. Sowohl bei mir wie auch bei den Einheimischen und den Soldaten. Ich habe wie viele nicht täglich Lust, den Umweg über die nun in beide Richtungen stark befahrene Kornich el-Nil zu machen, wenn ich nach Downtown muss. Dabei brauchte ich ursprünglich gerade mal zehn Minuten gemütlichen Laufens (ich wohne etwa auf Höhe der Metrostation Saad Zaghloul, allerdings westlich der Kasr al-Aini) bis zum Midan Tahrir (Metrostation Sadat). Doch jetzt ist die Kasr al-Aini gesperrt, der Verkehr quält sich durch's Viertel links bzw. westlich davon und über die ehemalige Einbahnstraße entlang des Nils. Und rechts bwz. östlich der Qasr al-Aini stehen sich die Soldaten an den Sperren rund um das Parlaments (Maglis al-Schab)- und Kabinettsgebäude sowie das Innenminsterium die Beine in den Bauch, was diesen Weg als Ausweichroute noch weniger attraktiv macht.

Hin und wieder hört und liest man von Ausländern, die von Polizei/Geheimdienst/Militär bis nach Hause verfolgt oder noch auf der Straße festgenommen werden, weil sie um die falsche Ecke gebogen oder ein falsches Foto gemacht haben. So wie Bekannte meiner Mitbewohnerin oder dieser Journalist. Auch ich bin schon um die falsche Ecke gebogen und in die Sperre reingelaufen, habe Fotos gemacht oder Maulaffen feilgehalten. Aber es hilft nix, ich sehe einfach zu harmlos aus ;)

edit, 16.01.2012: Der Journalist Khaled al-Balshy hat im Namen zweier Menschenrechtsorganisationen eine Klage gegen den Militärrat wegen der Sperrung der Straßen und der damit verbundenen Schädigung der ägyptischen Wirtschaft eingereicht. Egypt Independent. Al-Ahram online hat bereits einen Tag zuvor darüber berichtet, ordnet al-Bashly aber der falschen Zeitung zu.
Der Fehler ist möglicherweie dadurch entstanden, dass al-Bashly früher mal für al-Dustur gearbeitet hat, die Zeitung aus der der jetzige Chef von al-Tahrir, Ibrahim Eissa, auf Betreiben des Regimes vor den Wahlen 2010 rausgeworfen wurde. Is halt alles etwas unübersichtlich hierzulande...