Samstag, 29. September 2007

Das war ein guter Tag. Er begann klassisch arabisch. Um acht sollte der Bus starten, gegen neun tauchte unser Begleiter vom Lehrpersonal auf. Allerdings war der Bus zu voll und mein Name auf der Liste derer, die sich angeblich zu spät angemeldet hatten und deshalb wieder nach Hause gehen sollten. Im Verlauf der Woche sollten wir den Ausflug dann nachholen können. Wir protestierten, ich vorneweg, denn wir hatten uns tatsächlich rechtzeitig angemeldet. Allerdings hatten wir unsere Namen auf die Rückseite der Liste geschrieben, weil die Vorderseite bereits voll war. Der Protest tat seine Wirkung, ein zweiter, kleinerer Bus wurde organisiert und kurz vor zehn ging es dann tatsächlich los.

Zuerst ging es zum Berg Nibou, auf dem Moses zum ersten Mal das Gelobte Land gesehen haben soll. Leider war es sehr dunstig, so dass man kaum das Tote Meer und den Jordan erkennen konnte. Trotzdem war die Sicht mal wieder überwältigend, in der kleinen Kirche auf dem Berg gab es wunderschöne Glasfenster und bunte, kunstvolle Mosaike. Wir hatten ganze zwei Stunden Zeit umherzuwandern und die Sicht zu genießen. Janneke hatte wunderbarerweise Brot und Humus dabei und hat es großzügig mit uns geteilt, während wir hinüber nach Israel schauten.

Danach ging es nach Madaba, das vor allem für seine Mosaike bekannt ist. Leider mussten wir im Schnelldurchgang durch die Mosaikausstellung hetzen, weil unsere Begleiter – das unterstelle ich jetzt mal bösartigerweise – früh Feierabend machen wollte. Nizar ist einer der Arabischlehrer des Sprachzentrums und stammt aus Madaba, am Ende des Ausflugs blieb er in „my town“. Nach dem Museum ging es in ein Restaurant, obwohl die meisten von uns lieber sofort zurück nach Amman gefahren wäre. So saßen sechzig Leute im Obergeschoss eines Restaurants, warteten sicher eine Stunde lang auf eher teuere Sandwichs und kalte Getränke, um danach durch die St. Georges-Kirche gejagt zu werden, die für ihr Landkartenmosaik des alten Arabien berühmt ist. Die Kirche an sich ist nett, weil orthodox und daher voll mit Heiligenbildern und pompösen goldenen Kronleuchtern, das Mosaik allerdings ist nur noch teilweise erhalten und im Vergleich zu den vorher gesehenen deshalb eher unspektakulär.

Zurück in den Bus und nicht mal eine Stunde später waren wir wieder in Amman.

Ich war schon gestern mit Megan (das ist übrigens die korrekte Schreibweise *schäm*) zum Lernen verabredet, aber weil sie recht weit außerhalb bei ihrer Gastfamilie wohnt, hatte sie mir gestern Mittag abgesagt. Heute wollten wir das Lernen nachholen und landeten schließlich bei Jay (keine Ahnung, ob ich das jetzt richtig geschrieben habe...), ebenfalls Amerikaner und in unserer Gruppe, der ganz in der Nähe der Universität ein Appartement mit einem arabischen Studenten teilt. Im Haus wohnen noch andere junge Leute, unter anderem Leila, eine superhübsche Französin, die ebenfalls im Sprachzentrum lernt. Er war mit Ahmed, einem Jordanier, zum Lernen verabredet und davon profitierten auch Megan und ich. Die kurze Stunde war total klasse – er las uns den Text vor, ließ dann uns lesen und korrigierte unsere Aussprache (ich habe echte Probleme mit dem R) und stellte dann Fragen zum Text. Morgen wollen wir uns wieder treffen. Ich freue mich total darauf.

Gegen sechs kamen Leila und ein weiterer arabischer Freund, dessen Namen mir gerade entfallen ist und der mit ihr ein französisch-arabisches Sprachtandem bildet, und wir gingen in ein Restaurant in der Nähe. Drei verschiedene Arten Huhn mit Reis und Joghurt, Salat und Datteln und zum Abschluss arabischer Kaffee mit Kardamon. Wir schlugen uns die Bäuche voll und hingen dann für eine Weile zufrieden in den Kissen, tauschten englische, arabische, französische und deutsche Worte und lachten eine Menge.

Megan verabschiedete sich danach, ich begleitete Jay in sein Appartement. Eigentlich wollten wir noch eine Runde lernen, aber dann saßen wir doch nur auf seinem Balkon, von dem man einen tolle Blick auf das umliegende Viertel hat, und redeten über seinen Studienaufenthalt in Deutschland, die faszinierende Verbreitung der englischen Sprache selbst in wenig entwickelten Ländern und unsere Zukunftspläne. Er ist zum zweiten Mal in Jordanien und will in den Flüchtlingscamps arbeiten. In den nächsten Monaten will er sich einen Job suchen und dann versuchen als freiwilliger Helfer Fuß zu fassen.

Netterweise begleitete er mich nach Hause, denn mein Hostel liegt auf der anderen Seite des Campus und es war mittlerweile auch dunkel. Ich war wirklich froh über die Begleitung, denn auf dem Weg waren kaum Menschen zu Fuß unterwegs, außerdem liefen wir sicher eine Dreiviertelstunde lang. Wir wechselten immer mal wieder in Deutsch, weil er sein Deutsch erhalten möchte, aber schon lange nicht mehr gesprochen hat, unterhielten uns über Musik, Jordanien und schmutzige Witze. Für den Rückweg hab ich ihm meinen MP3-Player geliehen, morgen will ich ihm den USB-Stick voll mit deutschsprachiger Musik mitbringen.

Zu Hause zog ich noch alle Fotos und die Videosequenzen, die ich aus dem Bus heraus gemacht habe, auf den Rechner. Dann klopfte Amira und wir quatschten eine kurze Weile. Sie hat Probleme mit einem ihrer Partner, weil der gerade von ihr verlangt, dass sie ihm das Manuskript für ihr zweites Buch über Jordanien überlässt, die finanzielle Gegenleistung aber auf später verschieben will.

Jetzt bin ich müde und will nur noch schlafen, werde aber vielleicht noch mal die Vokabelkarten durchgehen. Morgen beginnt der Kurs zwar erst um elf, aber ich würde gern früher aufstehen, um einen Teil der Übungen vorzubereiten. Mal schauen, was mein innerer Schweinehund dazu sagt...
Richtung Israel

Taufbecken und Kreuz auf dem Mount Nibou

Mosaikdetail in der Kirche auf dem Berg

ziemlich freizügiges Mosaik in Madaba (die zweite Person rechts ist eine barbusige Frau...)

Kronleuchter in St. Georges



Donnerstag, 27. September 2007

Interessant bei wie vielen Gelegenheiten man Vokabeln lernen kann: Zähne putzen, nähen, Nägel feilen. Ich bin gespannt, wie lange meine Motivation anhält.

Tatsächlich tue ich sonst nicht viel. Gestern habe ich den Ausgang verschlafen. Wegen des Ramadan ist das Hostel zwischen 18 und 20 Uhr geschlossen. Ich war zwar mit den anderen Deutschen verabredet, aber aufgewacht bin ich leider erst kurz nach sechs. Ich könnte glatt meine gesamten Tage verschlafen. Jedenfalls blieb ich zu Hause und verbrachte den Abend mit Deutsche Welle TV und Amira. Genau wie den heutigen Tag. Amira hat Archäologie studiert und schreibt gerade an ihrem zweiten Buch über Jordanien. Ihr erstes Buch über Petra hat sie mir gezeigt, die Bilder sind wirklich überwältigend, die meisten russischen Buchstaben kann ich ja leider nicht mal mehr entziffern. Allerdings kam sie heute mit einer Theorie um die Ecke, nach der die monumentale Bauten schlechterdings von Hand in den Stein gehauen worden sein können, sondern mit irgendeiner Technologie geschaffen worden sein müssen, von der wir heute keine Ahnung mehr haben. Ich kann schon verstehen, wie man auf so eine Idee kommt. Denn sich vorzustellen, dass die riesigen Grabstätten mit Hammer und Meißel in den Stein gehauen wurden, ist wirklich schwierig. Dass die Menschheit allerdings Ergebnis eines genetischen Experiments ist, war mir dann doch zu abenteuerlich.

Immerhin habe ich sie mittlerweile davon überzeugt, dass ich für eine Beziehung mit einem arabischen Mann nicht gebaut bin. In den Tagen davor wollte sie einfach nicht glauben, dass ich hier keinen Mann suche. Aber nachdem ich ein paar von meinen Vorstellungen von einer gleichberechtigten Partnerschaft zum Besten gegeben habe, ist sie der Meinung, dass ich einen solchen Mann hier nicht finden werde. Weitere Kuppelversuche werden also ausbleiben, die Einladung zum Essen mit ihrem Verlobten und dem Arzt Nashat entpuppte sich tatsächlich als ein solcher. Jetzt versteht sie auch, warum ich Nashat erzählt habe, das in Deutschland ein Mann auf mich wartet, den ich heiraten will. Bei dieser Lüge bin ich nicht mal rot geworden...

Mit Hilfe eines Vorwaschsprays bin ich jetzt auch mit dem Ergebnis der Waschmaschine zufrieden. Eigentlich wollte ich die ja schon gestern benutzen, aber angeblich gab es Probleme mit der Elektrizität. Das fand ich zwar seltsam, weil überall im ganzen Haus Licht, Kühlschränke und Fernseher normal funktionierten. Aber auch nach zweimaligem Nachfragen blieb die Begründung gleich, also hab ich sie hingenommen.

Was mich irritiert hat: Obwohl Freitag ist, waren fast alle Geschäfte hier um die Ecke geöffnet. Der Supermarkt, der Telefon- und der Fotoladen, die Apotheke. Nur der Buchladen hat irgendwie nie geöffnet, wenn ich vorbeilaufe. Genau wie die beiden Grillstuben – aber das liegt wohl am Ramadan. Man stelle sich einen Sonntag in Deutschland vor, an dem alle Geschäfte ohne Sondergenehmigung offen sind.

Jetzt ist es schon wieder ziemlich spät und morgen geht es mit dem Sprachkurs nach Madaba und auf den Berg Nibou. Mich erwarten Menschenmassen, uralte Mosaike und der Ausblick, der sich Moses bot, als er zum ersten Mal das Gelobte Land sah. Und wie Tawfiq Omar bei seiner Einführung anmerkte: Der Bus wird zu spät kommen, aber wir sollten pünktlich sein. 8 Uhr morgens ist ganz schön früh.

Am spaßigsten ist das Lernen übrigens, wenn mir plötzlich die Verwandtschaft zwischen den unterschiedlichen Vokabeln auffällt. So bedeutet dschaul so viel wie um oder herum, während tadschawala (das w ist ein geschriebenes u) das Wort für besichtigen, also für umherlaufen und staunen ist :) Noch ein Beispiel? auda bedeutet Rückkehr, a’ada bedeutet Tradition oder Sitte. (Das erste a wird übrigens tief hinten in der Kehle gesprochen, weil es kein a-lif, sondern das so genannte ain ist.)

Das ist natürlich prinzipiell nix Neues für Leute, die sich mit Arabisch beschäftigen, denn die gesamte Sprache ist so aufgebaut, dass man in der Regel aus drei beziehungsweise vier Konsonanten, der so genannten Wurzel, zig Worte bilden kann. Aber diese Verbindungen so nach und nach zu entdecken und nachzuvollziehen, macht wirklich Laune.


so, heute ist waschtag (eventuell gehts mit den anderen heut abend noch nach downtown). morgen ist lerntag (am freitag kann man eh nix anderes machen...). übermorgen ist triptag (nach madaba und auf den mount nibou). und erst danach gibbet wieder neuigkeiten hier.

also nicht klagen! ;)

Mittwoch, 26. September 2007

wow, kaum schreib ich mal ein paar Tage nicht, schon gibt es Beschwerden ;)

tatsächlich habe ich vorgestern den Text über Petra geschrieben, weil ohnehin nicht viel in Amman passiert. und gestern habe ich fast nichts anderes getan als zu lernen, ich fleißiges Mädchen.

leider haben wir offensichtlich die schlechtesten Lehrer des gesamten Sprachkurses erwischt - bis auf einen, den wir aber leider nur einmal pro Woche haben. alle sind total gelangweilt und obwohl wir eigentlich die schwerste Stufe des dritten Levels sein sollen (fragt mich nicht, wie ich da rein geraten bin. es ist mir selbst ein rätsel...) haben uns die anderen längst überholt und bereits mit der zweiten Lektion angefangen. wir haben noch nicht mal die Übungen der ersten Lektion fertig und es ist kein Ende in Sicht. deshalb sitzen wir jetzt hier rum und warten auf Tafiq Omar, den Students Advisor, um uns zu beklagen. in'scha'allah taucht er in den nächsten Minuten auf, möglicherweise müssen wir auch länger warten. also nicht wundern, wenn der Text plötzlich abbricht…

tja, jetzt hab ich eben zwischendrin Mail an Mayuf geschrieben, weil ich doch nicht nach Syrien fahren werde an diesem Wochenende, und dann erfahren, dass unser Betreuer heute gar nicht da ist. Ich werde jetzt mit Meagan gehen und vielleicht mit ihr lernen, vielleicht auch einfach nur ein bisschen quatschen. Sie sagt, sie muss negative Energie loswerden, und ich bin gern in ihrer Gesellschaft.

Meagan wollte gern zu dem McDonalds, der gegenüber dem Haupteingang der Uni ist, um ihre Laune mit einem Kaffee aufzubessern. Die Chancen standen nicht gut, das war uns klar, aber wir wollten es versuchen. Tatsächlich waren die Türen verschlossen, aber ein Mann gab uns von innen Zeichen, dass wir durch den Drive Through laufen sollten. Und tatsächlich: Dort hinten gab es Kaffee und wenn wir gewollt hätten, alles andere auch. Wir verzogen uns in ein schattiges Eckchen unter Bäumen auf dem Parkplatz und beobachteten, dass noch andere diesen Trick kennen. Mehrer junge, offensichtlich arabische Männer kamen auf den Parkplatz gefahren, gingen zum Counter und verließen ihn mit gefüllten Tüten, die sie in ihren Autos sitzend leerten. Doppelmoral at its best. Und unsereins darf offiziell nicht mal im Sprachzentrum essen und trinken. Darüber darf ich nicht zu lange nachdenken...

Mein Rauchkonsum liegt mittlerweile leider wieder deutlich über fünf Stück täglich :(

Dienstag, 25. September 2007

Ich werde in die Hölle kommen. Jedenfalls wenn es nach den Beduinen geht. Denn eine Frau, die eine Katze in ihrer Wohnung duldet – egal ob sie sie füttert oder nicht – kommt in die Hölle. Von diesem Glauben hat mir der Verlobte von Amira, meiner russisch-ukrainischen Nachbarin, erzählt, als wir zum Essen in ein Restaurant fuhren. Ich hatte das Thema nicht angesprochen und nach der Geschichte auch geflissentlich verschwiegen, dass ich mich meinen Kater herzlich verbunden fühle.

Der scheint sich übrigens bei seinen Zweitmamas sehr wohl zu fühlen. Am Wochenende kam eine Mail mit Fotos vom ersten Ausgang. Die beiden haben ihm eine Katzentreppe vom Balkon aus gebaut. Und er hat sich benommen, wie ich ihn kenne: Er musste erst mit Fleischstückchen davon überzeugt werden, dass so eine Treppe eine feine Sache ist. Auf jeder Stufe lag ein Stück. Das Ganze sah auf den Bildern noch etwas wackelig aus, aber ich bin sicher, dass er mittlerweile gazellengleich hoch- und runterturnt und die neue Freiheit reichlich auskostet.



Das Essen jedenfalls war überwältigend. Wir mussten nicht mal zahlen, weil Nashat, der Freund von Osama, so heißt Amiras Verlobter, der Mutter des Besitzers des Jabri einmal das Leben gerettet hat. Nashat ist Kardiologe. Also saßen wir in diesem ziemlich vornehmen Restaurant – weiße Tischdecken, mit weißem und orangefarbenem Stoff überzogene Stühle und Stoffservietten. Um uns herum luden Männer, Frauen und Kinder die Tische voll und warteten auf den Moment des Fastenbrechens. Ehrlich! Ich hab noch nie so einen vollen Tisch gesehen. Vom Buffet schleppten Osama und Nashat alles auf einmal an: Suppen, Hauptspeisen, Salate, Desserts und Obst. Ich hatte mir nur einen Teller gefüllt und wollte, wie ich es gewöhnt bin, ein zweites oder drittes Mal ans Buffet gehen. Am Ende hätte wirklich nicht mal mehr eine Untertasse auf den Tisch gepasst. Die Minuten vergingen und ich habe nicht ganz verstanden, woran die Leute erkannten, dass sie mit dem Essen anfangen dürfen. Draußen war es definitiv noch hell. Ich vermute mal, dass es ein entsprechendes Stichwort in den überall präsenten Fernsehern gab, das ich nicht mitbekommen habe.

Besonders Nashat, der sich im Gegensatz zu uns anderen tatsächlich an das Ess- und Trinkverbot während des Tages hält, aß in einem atemberaubenden Tempo und unwahrscheinliche Mengen. Als er sich am Ende den Bauch hielt und das Gesicht schmerzlich verzog, konnte ich es mir nicht verkneifen zu sagen, dass er viel zu schnell gegessen habe. Als Arzt sollte er das doch wissen, er nickte dazu. Zu meiner Verteidigung: Er hatte vorher versucht mich anzutreiben, denn in seinen Augen aß ich viel zu langsam.

Woran ich mich auch gewöhnen musste: Die beiden Männer legten andauernd irgendwelche Fleischstücke auf meinen Teller, obwohl der durchaus gut gefüllt war. Zum Glück hatte ich schon gelesen, dass niemand von einem erwartet, dass man seinen Teller restlos leert. Im Gegenteil: Ein leerer Teller bedeutet, dass man noch Hunger hat. Also probierte ich alles durch und ließ schließlich meinen viertelvollen Teller abräumen.

Absoluter Höhepunkt waren natürlich die Desserts. Für die mächtige Schokoladencreme finde ich keine Worte außer lathith schiddan, sehr lecker. Was genau die Bestandteile der weißen Cremes war, kann ich nicht mal sagen. Irgendwelche Früchte und Gewürze und es schmeckte genauso gut wie der Käse in den süßen Teigtaschen. Mjam! Und ich gestehe: Mein Bauch fühlte sich danach auch ziemlich prall an ;)

Sonntag, 23. September 2007

Musik kann Leben retten. Ich hatte einen fiesen Tag. Der Trip nach Petra steckt mir in den Knochen. So schön es war, so anstrengend war es auch.

Ich wurde gar nicht richtig wach heute Morgen. Die Waden tun mir weh vom bergauf, bergab, den trabenden Esel spüre ich noch immer im Hintern und geraucht habe ich auch zu viel in den vergangenen Tagen.

Der Lichtblick des Tages, die netten Mails aus Deutschland, wurde zunichte gemacht vom Stromadapter, den ich bald eine ganze Stunde lang überreden musste, doch bitte den Stecker für den Laptop festzuhalten. Immer wieder rutschte er aus der richtigen Position, manchmal sofort, manchmal erst nach einigen Minuten – das natürlich ohne dass ich dabei am Kabel gewackelt hätte. Am liebsten hätte ich alles aus dem Fenster geworfen, aber das wäre ja auch keine Lösung gewesen. Schließlich erwies sich das Laster Rauchen als Rettung – statt mit Tesafilm wie in den Tagen zuvor wird der Stecker jetzt von zwei Pappstücken aus der Zigarettenschachtel gehalten. Warum der Tesatrick vom letzten Mal heute partout nicht funktionieren wollte, bleibt mir ein Rätsel. Und erst The Gossip, Low und Feist beruhigten meine Nerven wirklich.

Schließlich ist der Akku doch wieder aufgeladen und sind alle Bilder so beschriftet, dass ich sie morgen nur noch hochladen muss. Und meine Musikdateien spielen die ganze Zeit Zufall, das bekommt mir heute sehr viel besser als das Radio. Soll die Welt doch draußen bleiben...

Jetzt kann mich endlich auch wirklich darüber freuen, dass ich vorhin eine türkischstämmige Deutsche aus Wanne-Eickel kennengelernt habe, die in Amman Wassermanagement studiert und mir beim nächsten Gespräch sicher eine Menge interessante Sachen erzählen wird. Und auch über den extrem hilfsbereiten Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung, den ich eigentlich morgen treffen wollte. Wegen des Ramadan ist das Büro allerdings nur dünn besetzt, die KAS-Expertin für Frauenfragen werde ich deshalb doch erst in ein paar Wochen treffen. Mir ist das gerade sehr recht, denn ich habe heute gemerkt, dass mich das ungewohnte Leben hier doch mehr anstrengt als ich bis gestern dachte.

Den anderen scheint es ähnlich zu gehen. Alle waren recht kurz angebunden heute. Henning ist erkältet, die anderen haben Probleme mit dem Vermieter, die arabische Unpünktlichkeit störte ein Sprachtandem.

Ich werde jetzt ein Schläfchen halten, danach etwas zu essen besorgen und mich dann mit meinem Arabisch-Buch beschäftigen bis mir wieder die Augen zufallen. Meine Beteiligung im Unterricht heute war wirklich keine Glanzleistung :(

Na gut, es ist jetzt halb zwölf, ich hab die Hausaufgaben fertig und beschließe einfach mal, dass das genug sein muss, auch wenn mir dank Kaffee noch nicht die Augen zu fallen. Ein Zigarettchen rauchen, Zähne bürsten, schlafen gehen. Ein wunderbarer Plan ;)

Ups, fast vergessen, zumindest ein Wort Arabisch einzufügen: chalas bedeutet soviel wie „genug!“ oder „Das ist alles“. Hat mir der Mann, der im Supermarkt das Gemüse wiegt, beigebracht und der sollte es ja wissen.


Samstag, 22. September 2007

mit audi gab es leider ein paar probleme. allohol und das im ramadan, tss. und dann war auch noch sein esel weg. die ganze geschichte vielleicht in ein paar tagen.


aber so lernte ich dann fausa kennen und ritt am nächsten tag mit ihm nach little petra, den platz, an dem die nabatäer zuerst die felsen bearbeiteten


an diesem hübschen plätzchen war ich mal für fünf minuten ganz allein :)


schon wieder so schöne steine


in irren formen




Freitag, 21. September 2007

der siq ist der zugang zum alten petra, fußmarsch von knapp zwanzig minuten.



wer nicht laufen will, darf kutsche fahren. die junx geben gut gas, als fußgänger sollte man sich am rand des siqs und die ohren offen halten...


der eingang von petra, millionenfach fotografiert

unter anderem von all diesem volk hier. es war wirklich ziemlich voll...


am schönsten fand ich tatsächlich die farben der steine, den wechsel der verschiedenen schichten und die erodierten formen. das kriegt keine menschliche hand besser hin.
eine kleine auswahl:






beeindruckend waren aber nicht nur die natürlichen Formen, auch der Fleiß der Nabatäer war nicht ohne. eine Grabstätte:


ganz oben befand sich der Opferplatz, die heutigen "Bewohner" Petras, die Bedu, nennen die Stätte heute al-matbach, die Küche.

ganz oben auf der spitze des monastir ist salim zu erkennen. einer der petra-bedu, der verdammt fix und barfuß da hochkletterte und dann lustig durch die fassade turnte.

noch ein blick in die berge

und dann ging die sonne unter


Donnerstag, 20. September 2007

faellt aus wegen ueberfuellung des reisegepaecks ;)

soll heißen: ich hatte das schlepptop nicht dabei und reiche den reisebericht und die stein-esel-und-beduinen-fotos am montag nach, in'scha'allah.

an dieser stelle aber vielen, vielen dank für all eure lieben kommentare und mails. ich freu mich ueber jedes wort, jedes bild und ueberhaupt...

bis spaeter also!

schwierig zu fotographieren, aber wirklich sehr beeindruckend. petra by night. würden die touristen auch noch begreifen, dass sie mit ihren blitzen die gesamte stimmung versauen, dann wäre der trip wirklich jeden der 12 dinar wert gewesen. so musste man immer wieder die augen vor schmerz zusammenkneifen, statt einfach nur kerzen, felsen und arabische musik auf sich wirken zu lassen. naja, nix is perfekt, gelle.



Mittwoch, 19. September 2007

Manchmal gehen Wünsche einfach so in Erfüllung. Weil so viele von uns in Level 3 wollen, wurden aus den zwei Klassen drei gemacht. Die Namen derer, die in die C-Gruppe eingeteilt wurden, wurden am Ende des heutigen Unterrichts verlesen und siehe da: Ich werde mit meinen freundlichen Helfern Meagan und Henning in einer Gruppe sitzen. Eigentlich kann jetzt nichts mehr schief gehen. Dem Unterricht heute konnte ich gut folgen; alle Wörter, die ich nicht kannte, wurden von der Lehrerin übersetzt. Und es tat auch gut zu sehen, dass nicht nur ich eifrig mitschrieb. Ich darf sogar stolz vermelden, dass ich zwei richtige Antworten geben konnte. Gleich will ich mich an die Vokabelkarten setzen. Es ist einiges zu tun...

Als ich zurück ins Hostel kam, fragte ich sofort nach der Waschmaschine und wäre fast abgewimmelt worden. Wann ich denn morgen zurück ins Hostel käme, wollte die ältere Frau wissen, die scheinbar für die Verwaltung hier zuständig ist. Gar nicht, lautete meine Antwort. Weil ich ja morgen mit Janneke nach Petra fahre. Also wurde der Schlüssel für mich gesucht und ich konnte doch noch waschen. Die Maschine ist ein ziemlicher Brecher; ich hätte meine gesamte Wäsche darin unterbringen können. Kauthar, die aus Basra stammt, schenkte mir sogar noch ein Päckchen Waschmittel, weil ich angenommen hatte, das wäre im Preis mit drin. Sie wollte kein Geld, also werde ich ihr in den nächsten Tagen ein neues Päckchen mitbringen. Oder vielleicht doch lieber etwas Süßes? Jedenfalls hängt das Zimmer jetzt voll mit Wäsche, die zu meiner Freude auch ziemlich sauber wirkt. Lediglich die Schmutzränder an den Enden der Hosenbeine sollte ich das nächste Mal wohl vorbehandeln.

Außerdem musste ich heute zum ersten Mal Zigaretten kaufen, weil das Päckchen mit den Blättchen leer ist. Ich musste den Verkäufer zweimal fragen, wie viel Geld er von mir haben will, weil ich es gar nicht glauben konnte: 1 Dinar für eine Schachtel Gauloises. (Der einzige Unterschied zu den europäischen scheint der weiße Filter zu sein.) Ein Dinar entspricht in etwa einem Euro. Da kann man doch gar nicht mit dem Rauchen aufhören!

Von der Konrad-Adenauer-Stiftung kam heute eine SMS, die Hanns-Seidel-Stiftung rief an, von der NGO Karama kam eine Mail zurück. In der kommenden Woche werde ich ihre Büros besuchen und hoffentlich eine Menge Telefonnummern und Anregungen mitnehmen.

Außerdem habe ich die Internetseite der syrischen Botschaft in Amman gefunden. Fast alles war auf Arabisch, aber zumindest die VISA-Abteilung hatte eine englische Seite und das Antragsformular online. Ich habe Ihnen eine Mail geschrieben und hoffe, dass ich in der nächsten Woche dort vorbei fahren kann und ein Visum bekomme.

Ich wünschte wirklich, ich könnte schon so gut auf Arabisch diskutieren wie auf Englisch.

Oder wie auf Deutsch. Ich schlage mich nämlich mal wieder mit der Telekom herum. Die hatten doch tatsächlich die Dreistigkeit, mir eine Rechnung bis zum 30. September zu schicken, obwohl ich den Anschluss zum 9. gekündigt habe und das schon vor über einem Monat. Ich mailte Widerspruch und forderte eine korrekte Rechnung. Und was kriege ich zur Antwort? Es tue ihnen leid, die Kündigung sei nicht rechtzeitig vor der Rechnungserstellung bei Ihnen eingegangen und sie würden den Betrag dann im nächsten Monat verrechnen. Das ist ja wohl total gaga! Womit bitteschön wollen die das denn verrechnen, wenn ich gar keinen Anschluss mehr habe und ergo auch gar keine Kosten mehr produziere? Es war so eine hervorragende Idee, das alte Konto vor meiner Abreise aufzulösen – sonst müsste ich jetzt garantiert monatelang mit denen rumstreiten, damit ich mein Geld zurück bekomme. Denn den Widerruf der Einzugsermächtigung hätten sie sicher auch geflissentlich ignoriert. *grmpf* Ich weiß echt nicht, ob ich lachen oder schimpfen soll.

Dienstag, 18. September 2007

Seit heute bin ich in Level 3. Ich bin selbst noch etwas überrascht und auch ein wenig ängstlich, weil ich fürchte, sehr schnell den Anschluss zu verlieren. Aber nachdem der erste Text im Buch des zweiten Levels mit sabah al-cha’ir, Guten Morgen, begann und wir jeden Satz mindestens viermal wiederholt haben, beschloss ich, dass das Niveau doch zu niedrig für mich ist. Die allgemeinen Grußformeln gehen mir schließlich mittlerweile flüssig über die Lippen. Natürlich würde ich auch in Level 2 etwas lernen, aber ich kenne mich gut genug, um zu wissen, dass ich selten mehr lerne, als unbedingt nötig. Ich würde Jordanien verlassen, ohne das Maximum herausgeholt zu haben. Das Risiko, in ein paar Wochen frustriert zwischen meinen Vokabelkarten zu sitzen, will ich eingehen.

Die Sätze im ersten Text des Level 3-Buchs waren bereits deutlich komplexer, der Lehrer sprach weit schneller und ich habe nicht alles auf Anhieb verstanden. Aber auch hier wurden die Sätze mehrfach wiederholt und im Zweifel muss ich die Texte eben mit dem Wörterbuch vorbereiten. Außerdem sah ich deutlich, dass auch einige andere Schüler Schwierigkeiten hatten, Text und Lehrer zu verstehen.

Der Unterricht war gerade zu Ende, da klingelte mein Telefon. Die zweite Überraschung des Tages. Mayuf, mein Vater, war in der Leitung. Noch gestern hatte ich darüber nachgedacht, ihm eine Beschwerde-Mail zu schreiben, weil ich schon seit gut zwei Wochen auf seine Antwort warte. Die Verbindung war sehr schlecht, deshalb vereinbarten wir, dass ich ihm eine Mail schreiben sollte. Nur kurze Zeit später kam seine Antwort. Er ist doch nicht in Syrien, aber er will mich dort in knapp zwei Wochen treffen. Nach Amman könne er nicht kommen, schrieb er. Nun muss ich schnell herausfinden, ob und wie ich nach Syrien reisen kann und wo genau wir uns dort am besten treffen. Ich denke, ich werde meine Recherchen in Amman verschieben. Ich habe Mayuf seit über drei Jahren nicht mehr gesehen.

Bis vier Uhr lud ich endlich alle Texte in den Blog und schlug mich mit der Formatierung herum. Aber jetzt ist alles in lesbarem anderthalbfachem Zeilenabstand und bereits mit einigen Fotos versehen. Vielleicht ändere ich in den nächsten Tagen noch einige Dinge, aber insgesamt bin ich ganz zufrieden mit dem Erscheinungsbild von crossing jordan. Einige Freunde haben meine Schreiberei schon kommentiert. Alf schukr, tausend Dank, ihr Lieben! Ob ich das gute Stück anderweitig verlinken lasse, muss ich noch überlegen.

Meine Waschpläne für den Nachmittag lösten sich leider in Luft auf, weil der Raum mit der Waschmaschine abgeschlossen war. Zeynat versprach aber, dass sie den Schlüssel morgen für mich bereithalten will. Ich bin gespannt und erwarte, dass ich eines dieser lustigen britischen Modelle vorfinden werde, deren Qualität mich in Spanien nicht recht überzeugen konnte. Dennoch: Auch so eine Maschine wird meine Handwaschkünste toppen.

Die dritte Überraschung: Ich werde mich von der Liste für die Rundfahrt durch Amman am Samstag streichen lassen und stattdessen mit Janneke, der Niederländerin, nach Petra fahren. Sie ist nur für sechs Wochen in Jordanien und will deshalb viele Sachen auf eigene Faust unternehmen. Als sie mir von ihren Plänen erzählte, bot ich ihr spontan meine Begleitung an. Sie war ganz angetan von dem Gedanken, nicht allein reisen zu müssen. Vorhin rief sie an und hatte schon fast alles organisiert. Wir wollen am Donnerstag mit dem Bus nach Petra fahren und am Samstag zurückkommen. Das wird sicher ein netter Trip, ich mag sie gern. Und zu zweit werden wir wahrscheinlich sehr viel entspannter durch die rote Felsenstadt bummeln als mit der ganzen Gruppe.

Außerdem habe ich endlich eine Möglichkeit gefunden, die vielbefahrene Hauptstraße fast komplett zu meiden, wenn ich zur Uni und zurück laufe. Der Verkehr dort ist zu allen Tageszeiten ziemlich dicht, selbst nachts höre ich die gesamte Zeit Autos auf der Straße. Haut und Lunge werden mir für den kleinen Umweg danken. Nach der kleinen Nebenstraße direkt vorm Hostel werde ich künftig den gesamten restlichen Weg auf dem Campusgelände zurücklegen. Als ich das erste Mal den Wächter am Tor vor dem Deanship-Gebäude fragte, ob ich dort auf das Universitätsgelände komme, verneinte der. Ich habe bis jetzt nicht verstanden, warum er mir diese Antwort gegeben hat. Eine meiner Mitstudentinnen meinte, er habe es vermutlich selbst nicht besser gewusst. Auf der Suche nach meinem Lehrbuch bin ich aber mittlerweile von der anderen Seite an das Tor herangekommen und weiß es nun also selbst besser.

Nach dem obligatorischen Schlaf, al-naum, geht’s jetzt in die Küche, al-matbach. Der kleine Unfall gestern hat übrigens keine Spuren hinterlassen ;) Und danach noch mal an den Rechner für ein paar Mails und an mein Lehrbuch, damit ich morgen nicht völlig verloren und ohne Vokalisierungszeichen in der Klasse sitze.

Ich verspreche übrigens feierlich, mich nicht mehr über deutsche hot rotations zu beschweren. Wenn ich noch einmal „Hey there Delila“ (Hab ich den Namen richtig?) höre, krieg ich nen Krampf. Lustig find ich dagegen, dass in Justin Timberlakes „Love stoned“ die Zeile „she looks like a model, except she got a little more ass“ zensiert ist. Der Hintern fehlt einfach. So was aber auch ;)

Montag, 17. September 2007

Ich bin gerade von meinem Nachmittagsschläfchen aufgewacht. Ich habe geträumt, ein paar der Allerliebsten hätten mich vor der Abreise am Bahnhof überrascht. Ich stand am Taxi mit meinem Gepäck und wollte es gerade schultern, um zum Bahnsteig zu gehen. Es war ein großes Hallo und Juchhu, wir haben gelacht und geredet und uns vor lauter Abschiedsfreude fast von zwei Straßenbahnen überfahren lassen. (Aber nicht, dass mich jetzt einer fragt, wo genau am Bahnhof denn eigentlich Straßenbahnen fahren!) Ein netter Traum. Allerdings war es ganz gut, dass die Realität anders aussah. Ich hätte sonst sicher meinen Zug verpasst ;)

Das Fasten wird gerade gebrochen, die Störungen in den Lautsprechern der Moschee knattern das Allahaa usw. heute fast tot.

Ich denke, ich werde in Level 2 bleiben. Die Lehrer sprechen ausschließlich arabisch mit uns, nur wenn wir sie absolut nicht verstehen, schieben sie ein paar erklärende Worte auf Englisch ein. Ich finde das zwar großartig, denn so haben wir viel bessere Chancen, die Sprache wirklich zu lernen. Aber da mein bisheriger Unterricht in Deutsch gegeben wurde, waren die zwei Stunden heute Morgen ziemlich anstrengend. Ich fürchte, in Level 3 wäre ich völlig verloren.

Danach wollte ich das Lehrbuch kaufen und traf kurz vorher meine Lehrerin, die sagte, dass das Buch neu aufgelegt wurde und wir uns unbedingt die neue Version geben lassen sollen. Ruth aus Österreich und Florian kamen mit mir und wollten ihre alten Bücher gegen neue umtauschen. Allerdings behauptete der Mann hinter dem Tisch beharrlich, es gebe gar keine neue Version. Er telefonierte mit Leuten aus dem Sprachzentrum, al-markas al-luraat, und erklärte uns dann, dass er unsere Lehrerin davon überzeugt habe, die alten Bücher weiter zu benutzen. Ich werde mit dem Kauf bis morgen warten, denn so kann ich hören, was die Lehrerin tatsächlich dazu sagt.

Mit Florian ging ich dann zur Bibliothek, um Kopien von unseren Pässen für die Polizei zu machen. Das Wort für Kopie ist das gleiche wie für Bild, as-sura. Dabei habe ich zum ersten Mal das Geldstück mit dem Wert zehn Fils gesehen, es sah aus wie unser fünf-Cent-Stück. Das Geld verwirrt mich noch immer hin und wieder, weil zum Beispiel die 100-Fils-Münze die Bezeichnung 10 Piaster trägt, aber überall in Fils gerechnet wird.

Dank Amy und ihrem arabischen family-brother verlief der Besuch bei der Polizei ziemlich unkompliziert. Allerdings hat die Frau hinter dem Schalter mein Halb-Jahres-Visum nur für drei Monate bestätigt und wollte weder Fragen beantworten, noch mit sich diskutieren lassen. Sie sagte, ich solle mein Visum in drei Monaten bei einer anderen Polizeistation verlängern lassen. Außerdem könne ich ja kurz mal nach Israel oder Syrien ausreisen und mein dann neues Visum verlängern lassen. Die klassischen Antworten halt. Naja, jetzt bin ich erst mal drei Monate offiziell gemeldet und alles Weitere wird sich finden, in’scha’allah. Die Kopien haben wir natürlich nicht gebraucht, genauso wenig wie den Zettel von der Uni, der besagt, dass wir Studenten sind...

Preisfrage: Was habe ich getan, nachdem ich zurück im Hostel war? Richtige Antwort: Gegessen. Lecker Brot mit Käse und Gurke. Danach habe ich versucht für meine Recherche zu telefonieren, aber fast niemanden erreicht, und noch ein paar Mails an potenzielle Interviewpartner geschrieben, die ich morgen abschicken werde. Ich freu mich schon auf den 24-Stunden-Internetzugang in meinem Appartement.

Jetzt zieht der Duft von frisch gebratenem Hühnchen durchs Haus, mein Magen rumort und ich werde mich gleich in die Küche stellen und endlich kochen.

Der Vollständigkeit halber: Das Hühnchen war ein Fisch, seit drei Stunden im Topf. Die Russin – eigentlich eine Ukrainerin, aber sie bezeichnet sich selbst als Russin, und ich hab leider vergessen, ein zweites Mal nach ihrem Namen zu fragen – hat Haarausfall. Sie habe alles schon probiert, erzählt sie, während ich mein Gemüse schnippele. Jetzt habe ihr eine Tante empfohlen, einen Fisch vier Stunden lang zu kochen und dann zu essen. Die Haare, so hofft sie, werden danach aufhören, in Strähnen auszufallen. Während sie auf ihren Fisch wartet und ich mein Essen koche, reden wir. Sie spricht zum Teil gleichzeitig arabisch, englisch und russisch und gibt im Verlauf des Gesprächs noch einiges anderes an Vorurteilen und Aberglauben preis. Vor fünf Jahren kam sie im Auftrag einer ukrainischen Zeitung nach Jordanien, wollte eigentlich nur drei Monate bleiben. Dann kam ein Jordanier in ihr Büro und fragte so direkt wie es nur ging: Will you marry me? Sie habe zunächst verneint, später aber doch Ja gesagt. Mittlerweile ist sie wieder geschieden und lebt deshalb hier im Hostel. Jetzt hat sie eine Verabredung, deshalb kann ich nicht weiter neugierig sein.

Auf die Liste der vergessenen Dinge: Eine Brandsalbe. Der Geschirrtuch-Topflappen hat beim Nudelwasserabgießen versagt. Autsch! Aber auch diesmal ist das Jammern auf hohem Niveau, weil ich zum Glück eine dieser Gelkompressen dabei habe, die nach einem Aufenthalt im Kühlschrank wunderbare Dienste bei kleineren Verbrennungen leisten. Das Tippen wird halt ein wenig behindert...

Sonntag, 16. September 2007

Yalla, yalla, yalla; meine Lehrerin ist von der ganz schnellen Sorte. Wir haben die Buchstaben wiederholt. Sie wollte wissen, mit welchen Grammatikregeln wir Probleme haben. Und immer wieder: „If you know this already, go to level three.“ Ich will mir ihren Unterricht morgen noch mal anschauen, vielleicht wechsle ich dann tatsächlich eine Stufe höher.

Danach habe ich mich von einem Taxi zur Jordan Times fahren lassen. Der Mann konnte mit der Adresse zunächst gar nichts anfangen, sprach kein Wort Englisch und machte mich unruhig, weil er – nachdem er mit der Jordan Times telefoniert hatte – vornehmlich durch Wohnviertel fuhr und ich so völlig die Orientierung verlor. Dann standen wir plötzlich von dem Gebäude der Jordan Press Foundation. Great verstand er nicht, mumtas sehr wohl – das brachte ihn auch endlich zum Lächeln. Ich bin so froh, dass es mit meinem Englisch so gut klappt, dass ich immer wieder vergesse, dass ich eigentlich wegen Arabisch hier bin. Den Gesprächen der Amerikaner im Sprachzentrum zu folgen, finde ich allerdings immer noch schwierig.

Im Großraumbüro der Jordan Times traf ich Rana Husseini, mit der ich nun schon einige Male telefoniert hatte. Eine große Frau in Shirt, Weste und Jeans, die Locken kinnlang und von zahlreichen grauen Haaren durchzogen. Senior Reporter steht auf ihrer Visitenkarte. Sie telefonierte und unterbrach sich eigentlich nur, um mit mir zu sprechen. Mit manchen ihrer Bemerkungen, die sie leidenschaftlich-schnell ins Telefon rief, brachte sie ihren Tischnachbarn zum Lachen; ich konnte den arabischen Witz noch nicht nachvollziehen. Vielbeschäftigt wie sie war, drückte sie mir zunächst einen dicken Ordner mit allen Artikeln der Jordan Times zum Thema Frauen in die Hand.

In der Mitte des Raums sitzend wühlte ich mich durch die vergangenen Monate, schrieb ein paar Informationen heraus und beobachtete ansonsten das Treiben um mich herum. Mir direkt gegenüber saßen zwei junge Mädchen mit langen, offenen Haare und engen T-Shirts vor den Dell-Computern, an den anderen Tischen arbeiteten Männer, telefonierten und tippten. Das Archiv der Zeitung steckt in hunderten von Ordnern, was mich an meine Anfangszeit bei den Ruhr Nachrichten erinnerte. Ich fand das ein bisschen seltsam, weil ein großer Teil der Jordan Times bereits online abrufbar ist, aber vermutlich fehlt ihnen eine Datenbank, die eine sinnvolle Suche innerhalb der Ausgaben ermöglicht.

Rana Husseini riet mir ab, mich mit den Ehrenmorden zu beschäftigen – ihr schlagendes Argument: Die Prozesse und Akten sind komplett arabisch. Mein Wissen über dieses Thema werde ich also weiter aus ihren Artikeln und anderen Veröffentlichungen beziehen. Stattdessen werde ich weiter in Richtung Arbeitsmarkt recherchieren. Denn obwohl die jungen Frauen in Jordanien genauso gut ausgebildet sind wie ihre männlichen Altersgenossen, wächst ihr Anteil an der erwerbstätigen Bevölkerung nur schleppend. Rana Husseini und Linda Hindi, eine andere Journalistin, wollen sich in den kommenden Wochen für ausführlichere Interviews mit mir Zeit nehmen. Außerdem habe ich noch einige Telefonnummern abgestaubt, die ich morgen wählen will.

Endlich zurück im Hostel war mir ganz schlecht. Am muslimischen Fasten finde ich das Trinkverbot am schwierigsten. Dürfte ich tagsüber ungeniert an meiner Wasserflasche nuckeln, hätte ich weniger Probleme. Da ich aber in meinem Reiseführer gelesen habe, dass selbst Ausländern verhaftet werden können, die sich beim Essen, Trinken oder Rauchen in der Öffentlichkeit erwischen lassen, halte ich mich tunlichst an das Gebot. Hintergrund ist, dass sich die Religionszugehörigkeit natürlich nicht immer auf den ersten Blick feststellen lässt. Ich frage mich allerdings, ob dann auch die Unterwäsche der Frauen kontrolliert wird, die gegen das Fastengebot verstoßen dürfen, weil sie ihre Periode haben. Wahrscheinlich ein total dämlicher Gedanke, denn diese Frauen werden ihr Privileg vermutlich nur innerhalb ihrer Wohnung nutzen. Jedenfalls verschwinde ich im Sprachzentrum höchstens mal für ein paar Stücke Schokolade oder Traubenzucker und einen Schluck Wasser auf die Toilette. Dass heute dabei aus der Nachbarkabine Kotzgeräusche kamen, macht die Geheimniskrämerei nicht unbedingt attraktiver.

Brot und Wasser und ne Runde Schlaf – ich fühle mich deutlich besser jetzt. Gleich kann ich auch wieder in die Küche und hoffe, Berta nicht zu treffen. Danach könnte ich noch mit Henning und Florian Tee trinken gehen, aber ich werde wohl in meinem Zimmer bleiben und einige Dinge schreiben, die ich morgen verschicken will.

Samstag, 15. September 2007

Ach, es ist furchtbar mit Technik zu arbeiten, von der man nix versteht. Ich wollte es schlau anstellen und hatte mir den Laptop von jemandem einrichten lassen, der sich damit auskennt. Leider saß ich nicht direkt daneben und konnte so nicht bei jedem Programm, das aufgespielt wurde, dumme Fragen stellen. Das Ergebnis ist, dass ich absolut keinen Schimmer habe, was zum Beispiel der so genannte Nero Scout eigentlich tut. Das wäre mir an sich egal, denn ich kann mich durchaus damit abfinden, dass ich nicht von jedem Programm auf meinem Rechner weiß, was ich damit anfangen kann und soll. Normalerweise ignoriere ich die Teile geflissentlich, so lange Spybot (Was übrigens ein ganz wunderbares Programm ist! Das ich selbst installiert habe...) nicht sagt, dass ich sie besser rausschmeißen sollte. Schlimm finde ich aber, dass ich das Teil gestern aufgeräumt habe, weil verschiedene Dokumente entweder offensichtlich leer waren oder überflüssig, und sämtliche dieser Daten heute wieder in den Verzeichnissen auftauchen. Wenn das System mich fragt, ob ich sicher bin, dass ich die gewählten Dateien löschen will und ich auf Ja klicke, sollten sie doch weg sein, oder?!?!? Sind sie aber nicht! Noch übler finde ich, dass das Ding offensichtlich überwacht, was ich auf meiner Festplatte so treibe. Naja, es war sicher gut gemeint. So weit ich es verstehe, soll mich das Teil bei der Verwaltung meiner Musik und Bilder unterstützen. Mal davon abgesehen, dass ich als Ordnungsfreak eigentlich kein Programm brauche, um durch meinen Datenwust durchzusteigen, hat der Mensch, der den Rechner eingerichtet hat, Spuren hinterlassen, die ich jetzt nicht mehr los werde. Die Dateien lassen sich zwar löschen, tauchen aber nach jedem Neustart wieder auf. Die einzelnen Ordner lassen sich gar nicht entfernen. Schon mal in nen Monitor gebissen? Für freundliche Hinweise per Mail wär ich dankbar, deaktiviert hab ich den Mist mittlerweile...

Hmm, ja, sonst hat der Tag nicht viel gebracht. Ich wollte Geld sparen und bin in meinem Zimmer geblieben statt mit den anderen noch mal durch Downtown zu streifen. Habe die Taschen fertig geflickt und auch begonnen, die Ärmel meines Mantels wieder gesellschaftsfähig zu machen. Das wollte ich auch schon seit Wochen getan haben. Arabisch gelernt, weiter über Jordanien gelesen, gegessen, getrunken, genickert, grade mal drei Zigaretten geraucht. Außerdem musste das Ersatz-MD-Gerät heute ran und den Straßenlärm und die Moschee nebenan aufnehmen. Dabei hat es sich einmal heftig verschluckt und gar nichts aufgenommen, aber die restlichen Aufnahmen scheinen in Ordnung. Für Interviews werd ich also weiterhin das Original-Schätzchen nehmen. In einem Forum las ich über mein Modell: „Ein Museumsstück, aber ein schönes.“ Besser kann ich das auch nicht formulieren. I love my little sony ;)

Gleich werde ich die Küche unsicher machen. Jetzt darf ich ja: al-schams, die Sonne, ist schon untergegangen, al-saum (wieder so ein kehlig gesprochenes Wort), das Fasten, bereits gebrochen.

Wer dabei wen verunsichert hat, sei dann aber doch noch mal dahin gestellt. Weil der Abfluss verstopft war, habe ich versucht, meinen Topf in der Nachbarküche zu spülen. Da allerdings kam das Wasser dann unten raus gelaufen. Und als ich den Mülleimer benutzte, lernte ich prompt den eigentlichen Bewohner der Küche kennen. Ich habe ihn spontan Bert getauft, Bert Schabe. Obwohl, Moment! Das hier ist ein female hostel. Dann war es wohl Berta. Gute fünf Zentimeter groß, hellbraun, lange Fühler. Wir trafen sofort eine Vereinbarung: Sie kommt mir nicht zu nahe, ich komm ihr nicht zu nahe. Gerne hätte ich für Euch ein Bildchen von ihr gemacht, aber sie schien unserer Vereinbarung so wenig zu trauen wie ich. Nach ein bisschen hin und her verschwand sie hinter dem Heizkörper.

Auf der Liste der vergessenen Dinge stehen jetzt neben dem Topf: Eine Pfanne, Topflappen, ein tiefer Teller, die Gesichtscreme (keine Ahnung, wie ich die Creme vergessen konnte – vermutlich ein Fall von akuter Senilität). Aber musch muschkiila, kein Problem, denn der Teller wird durch die Tupperschüssel ganz gut ersetzt, das Geschirrhandtuch macht sich als Topflappen ganz gut und die nette Russin von nebenan leiht mir ihre Pfanne so gern wie ihr Spülzeug.

Freitag, 14. September 2007


Ich wache auf und fühle mich schlapp. Weder der Kaffee, noch das Frühstück, noch die Zigarette helfen. Das Gefühl bleibt. Mir ist nicht schlecht, ich habe keine Schmerzen, ich fühle mich nur, als sollte ich mein Bett nicht verlassen und keine weiteren Aktivitäten außer Schlafen planen. Vielleicht ist es das Wissen, dass heute Freitag, also der islamische Sonntag, ist. Ein Tag also, an dem ich ohnehin nichts erledigen kann.

Also füge ich mich dem Gefühl und gehe zurück ins Bett. Statt zu schlafen, beschließe ich zu lesen – mein Buch über Jordanien hat noch einige ungelesene Seiten. Ich überfliege die Seiten zur arabischen Sprache, die Seiten über Religionen in Jordanien lese ich aufmerksamer, vertiefe mich dann noch mal in das politische System aus Monarch, Senat und Unterhaus. Nach gut zwanzig Seiten fallen mir doch die Augen zu, während aus der Moschee nebenan eine enthusiastisch wirkende Predigt durch die Lautsprecher schallt. Die Stimme klingt, als würde der Imam mit aller Kraft rufen, man würde ihn sicher auch ohne Mikrophon hundert Meter weiter hören und verstehen können. Er muss danach außer Atem sein, stelle ich mir vor.

Eine knappe Stunde später reißt mich er aus dem Schlaf und predigt sicher eine Viertelstunde lang, bevor der Surensänger das Mikrophon für weitere zehn Minuten übernimmt. Die Moschee muss voll mit Betenden sein, ihre Antworten dringen immer mal wieder mit durch die Lautsprecher. Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Gottesdienste sind länger und häufiger, weil heute ein Freitag im Fastenmonat Ramadan ist.

Interessant fand ich bei meiner Lektüre, dass in Jordanien alle Imame an einer staatlichen Scharia-Fakultät ausgebildet werden und nur diese staatlich ausgebildeten (und bezahlten) Religionsgelehrten tatsächlich einer Moschee vorstehen und predigen dürfen. Nicht mal Gastprediger sind offiziell erlaubt. Zudem, so das Buch von Olaf Köndgen, werden nicht nur die Inhalte der Predigten landesweit staatlich vorgegeben, sondern auch vom Geheimdienst kontrolliert. Fanatische Islamisten haben dadurch in Jordanien kaum Chancen, ein größeres Publikum zu erreichen, was natürlich nicht heißt, dass es keine gibt.

Kurz danach gibt mein Handy laut: Eine SMS aus der german corner; einer meiner Mitstudenten fragt, ob ich später mit ihm downtown bummeln will. Keine Frage, wie meine Antwort lautet.

Bis dahin werde ich mich noch mal brav an den Schreibtisch setzen und mich mit Hilfe eines Kaffees auf mein deutsches Arabischbuch konzentrieren. Außerdem habe ich endlich mein Steinarmband wieder aufgefädelt, das schon vor Wochen gerissen war. Und leider, leider musste ich auch zu Nadel und Faden greifen: Die beiden wunderschönen Taschen, die ich bei einer Dortmunder Designerin gekauft hatte, sind derart sparsam genäht, dass die Nähte schon nach wenigen Wochen an zwei Stellen aufgegangen sind. Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie sorgfältiger arbeiten würde als die Massenfabrikanten. Das war ne herbe Täuschung. Eine empörte Mail an die Dame wird in den nächsten Tagen geschrieben, denn als ich gerade die Bauchtasche abnahm, entdeckte ich eine dritte offene Stelle. *sehrböseguck*

Der Bummel führt wieder an den wasat al-balad, meine Klamotten stinken wieder als ich heimkomme. Wir bummeln zum römischen Amphitheater, das leider verschlossen ist. Dann den gegenüberliegenden Berg hinauf zum Herkules-Tempel. Auch hier sind wir zu spät für eine Besichtigung, aber der Ausblick von der ehemaligen Zitadelle auf das unter uns liegende Viertel ist phantastisch. Zunächst sind wir zu viert; die beiden Deutschen Henning und Florian und Amy aus Ohio. Später treffen wir Gretchen, Amys Freundin, und ihren libanesischen Freund Anwar, dann noch die Niederländerin Jannika und den Rest der german corner, Katharina, Friederike und Jens. Das Fasten wird gerade gebrochen, wir finden ein kleines, simples Restaurant in der Nähe der König-Hussein-Moschee. Ich gehe kurz zum Rauchen auf die Straße, mal wieder kritisch von den umstehenden Männern beäugt. Aber als ich vergeblich mein Feuerzeug suche, wird mir lächelnd geholfen. Als ich zurück komme, ist der Tisch voll mit Brot und Schälchen voll mit Kichererbsenpüree in verschiedenen Varianten und verschiedenen Falafelsorten. Zehn satte Leute, die Wasser, Cola und Tee getrunken haben, zahlen zusammen 22 Dinar – das ist mehr als günstig. Danach führt Anwar uns noch zu einer arabischen Spezialität; von dem süßen Käse müssen wir alle essen, denn eigentlich kann niemand von uns noch mehr als ein Minzblättchen verdrücken.

Der Zufall des Tages: Friederikes kleine Schwester Henni geht auf die Schule, an der ich Abitur gemacht habe, und hat die gleiche Englischlehrerin, unsere Elfe Ms. Whitaker. Ich lasse schöne Grüße ausrichten.

Als ich gerade die Fotos auf den Rechner überspiele, klopft es. Eine Jordanierin aus dem Hostel heißt mich willkommen (ich weiß noch die Zimmernummer, habe aber ihren Namen vergessen...), in den nächsten Tagen werden wir zusammen kochen. Dass ich hier ausziehen will, versteht sie gut. Sie werde auch zum Ende des Monats in ein eigenes Appartement ziehen.

Die Wochentage sind übrigens ganz einfach, sie haben keine Eigennamen, sondern werden durchgezählt. Mit dem Sonntag beginnt die Woche, al-naum aahid, der Tag Eins. Morgen ist also al-naum sabat, Samstag beziehungsweise der siebte Tag der Woche. Der Freitag ist nicht nur al-naum chamis, der fünfte Tag, sondern auch al-a’utla, der Feiertag.



Donnerstag, 13. September 2007


Der erste Tag Ramadan ist fast vorbei. Ich hatte Kekse gegessen, Kaffee getrunken und eine Zigarette geraucht, bevor ich zu Uni aufbrach. Trotzdem wurde mir zwischendrin flau; ich war vor allem durstig, aber auch hungrig und gierig auf eine Zigarette. Eine Kleinigkeit gegessen und getrunken hab ich dann heimlich auf der frisch gechlorten Toilette des Sprachzentrums – ein zweifelhaftes Vergnügen. Die Zigaretten mussten allerdings warten, bis ich gut sieben Stunden später wieder im Hostel war.

Statt dem erwarteten ersten Unterricht gab es eine Einführung im Hörsaal durch Tawfiq Omar, dem der klassische Fehler unterlief: Er hatte die Verbindung zwischen Beamer und Laptop nicht vor seinem Vortrag überprüft und natürlich funktionierte die Übertragung nicht. Die schönste Nachricht: Die Ausflüge nach Petra, Jerash, ins Wadi Rum etc. sind kostenlos; wir müssen lediglich die normalen Eintrittspreise vor Ort zahlen. Natürlich werde ich in der Studi-Horde nicht üben können, wie frau alleine reist und sich dabei auf Arabisch verständigt. Mir ist auch klar, dass derartige Gruppenreisen noch andere Haken haben können. Andererseits kann ich mir die wirklich tollen Sachen im Zweifel auch danach noch mal alleine (oder in Begleitung von Besuch aus der Heimat?) ansehen. Ich wäre doof, wenn ich das Angebot nicht nutzen würde.

Danach gab es eine kleine Führung über das Unigelände, bei der ich eigentlich nichts sah, was mir nicht schon vorher aufgefallen war. Immerhin weiß ich jetzt, welche Mensa für die Studenten ist. Ich wäre spontan in die für die Dozenten gegangen. Und ich habe einen Zettel von der Universität, der besagt, dass ich Arabisch studiere und dafür länger als einen Monat in Jordanien bleiben muss. Mein Visum gilt zwar für ein halbes Jahr, aber ich muss mich trotzdem bei der Polizei melden. Der Uni-Zettel wird dabei hilfreich sein. Um wirklich sieben Monate zu bleiben, muss ich das Visum zudem noch mal verlängern lassen. Ich hoffe sehr, dass das nicht zu kompliziert wird.

Ein paar von uns sitzen danach noch eine Weile im Sprachzentrum, reden und surfen. Ich leihe einer Kalifornierin meinen Laptop, damit sie ihrer Familie ein Lebenszeichen geben kann. Es gibt zwar auch einen Computerraum im Untergeschoss, aber der ist abgeschlossen, weil der Verantwortliche in den Flitterwochen ist. Sie hat mir schon gestern von ihrem Appartement vorgeschwärmt und erzählt, dass noch einige Zimmer frei sind. Ich telefoniere mit dem Sohn der Familie und melde mich an. Plötzlich beginnen sich zwei Männer zu schubsen. Sie wirken deutlich älter als ich und tragen Anzüge; wir sind nicht sicher, ob es Spaß ist oder nicht. Es endet mit beiden auf dem Boden, einer im Schwitzkasten, ein Haufen anderer Männer drum herum. Der Sicherheitsmann aus dem Erdgeschoss trennt die beiden.

Lauren from California zeigt mir den Weg zu meiner künftigen Bleibe. Das Haus ist deutlich näher als mein Hostel. Obwohl Enrique und ich für fünfzehn Minuten später verabredet sind, empfängt uns nur seine Mutter und sagt, dass er gerade schläft. Später wird er sich entschuldigen und erklären, dass schlafen die einzige Möglichkeit sei, den Tag durchzustehen – ohne zu essen, zu trinken, zu rauchen. Wie er zu seinem Vornamen kommt, muss ich bei der nächsten Gelegenheit fragen. Wir sitzen im Wohnzimmer und warten auf ihn. Lauren spricht schon deutlich besser Arabisch als ich, ich höre zu und freue mich über jeden Satz, den ich verstehe.

Das Zimmer ist ein Schlauch – vorne eine Küchennische mit Tisch und Stühlen, hinten Schrank und Bett, außerdem das Bad. Alles wirkt schon etwas älter, dafür ist der Preis unschlagbar – 200 Dinar pro Monat inklusive Internet. Außerdem kriege ich einen neuen Teppich, der Staubsauger steht schon unter der Spüle. Heizen und kochen werde ich mit Gasflaschen, die Stromrechnung kommt auch noch zur Miete dazu. Enrique spricht von zehn bis fünfzehn zusätzlichen Dinar im Monat.

Ich hatte schon vorher gelesen, dass die Preise in Amman deutlich gestiegen sind – unter anderem wegen der vielen Flüchtlinge aus dem Irak. Die Jordan Times berichtete bisher jeden Tag, den ich hier bin, von Appellen des Königs, die Preise für Lebensmittel zu senken oder zumindest nicht weiter anzuheben. Tatsächlich bewegen sich die Preise für Gemüse, Nudeln oder Milch fast auf deutschem Niveau. Verdammt teuer für ein Land, für das ich ein Stipendium bekommen habe, weil es als Entwicklungsland gilt. Ich hoffe, mein Erspartes reicht aus, bis das Geld von der Heinz-Kühn-Stiftung kommt, und frage mich ernsthaft, wie der durchschnittliche jordanische Arbeiter mit einem Monatsgehalt von um die 190 Dinar auskommt. Sicher gibt es noch billigere Viertel als das in der Nähe der Uni und sicher sind unmöblierte Wohnungen deutlich günstiger. Trotzdem müssen diese Familien sicher mit extrem spitzer Feder rechnen und sich Zweit- und Drittjobs suchen.

Als ich der Einladung meiner künftigen Vermieter zum Essen folgen will, weiß ich wieder ganz sicher, warum ich nicht in dem Hostel bleiben will, dass ich sonst eigentlich ganz nett finde. Die Tür ist verschlossen, dabei beginnt die Schließzeit im Ramadan erst um 23 Uhr. Was Zeynat vergessen hatte, mir zu sagen: Die Türen sind zusätzlich zwischen 18 und 20 Uhr geschlossen, damit sie und ihre Kollegin Kauthar in Ruhe kochen und essen können. Nichts, wofür ich kein Verständnis hätte. Bis acht warten kann ich allerdings nicht, denn dann wäre das Essen vorbei. Kauthar macht eine Ausnahme für mich, lässt ihr Essen kurz unbeaufsichtigt auf dem Herd und öffnet mir die Tür. Ohne Laptop auf dem Rücken brauche ich fünfzehn Minuten zu Fuß; dass Gehen eine olympische Disziplin ist, musste mir noch nie jemand erklären. Warum ich extra vor dem Essen geduscht habe, frage ich mich lieber nicht.

Es gibt Kichererbsenbällchen mit Fleischfüllung, Teigtaschen mit Käse beziehungsweise Kartoffeln, Gurkensalat, Reis in einer mit Zitrone versetzten Weinblättersoße, gebackenes Hühnchen, Pepsi. Nichts von dem Essen ist noch warm zu nennen, aber auch darauf bin ich vorbereitet. Die drei Schwestern sitzen mit Lauren, mir und ihrer Mutter am Tisch, zwei der Söhne und der Vater essen nebenan vor dem Fernseher. Der dritte studiert gerade in Arizona, an der Wand hängt sein Foto am Rahmen einer Koransure.

Danach sitzen wir im Wohnzimmer, es gibt Tee, dann Kaffee. Ich schnorre eine Zigarette von der gerade rauchenden Mutter, Enrique verzieht sich zum Rauchen in sein Zimmer – aus Respekt vor seinem Vater. Das erklärt mir seine Mutter allerdings erst, nachdem ich sie um eine Zigarette gebeten habe. Hätte ich die Geschichte vorher gehört, hätte ich den Schmacht ausgehalten. Im Fernseher läuft ein schnell sprechender Mann durch Jerusalem, stellt Männern und Frauen Fragen zu Koran, Geographie oder Mathematik und belohnt richtige Antworten mit 50 Dinar (?)-Scheinen.

Die Mädchen zappen wild durch die Programme, ich erkenne die Gilmore-Girls auf dem Sender aus Quatar, wundere mich mal wieder über die knappen Klamotten der arabischen Sängerinnen und Tänzerinnen und die schier unendliche Zahl arabischer Musiksender, amüsiere mich mit ihnen über Americas lustigstes Homevideos. Mein Favorit: „Ich habe versucht, die Katze zu küssen“, jammert der Junge, der mit dem Kopf im Kratzbaum feststeckt. Klar, dass die Katze als erstes herauskommt. „Haram“, murmelt die Mutter neben mir, was so viel heißt wie „Verboten“ oder „Sünde“. Ich weiß nicht genau, wie ernst es ihr ist. Vorher am Tisch tadelte sie ihre jüngste Tochter, die ihren Teller nicht leer essen wollte, auch mit „Haram“, lächelte aber dabei und leerte den Teller schließlich selbst. Eine Diskussion über Haustiere werde ich hier sicher nicht beginnen; die kleinen Katzen in den Straßen laufen jedes Mal eiligst davon, wenn ich sie rufe.

Als Lauren aufbricht, folge ich. Ihre Eltern sind schon zu Bett gegangen, sagen die Mädchen. Auch etwas, das ich nicht ohne Erklärung verstanden habe. Dass sie ohne Abschiedsworte gegangen sind, irritiert mich. Und plötzlich fällt mir auch wieder ein, dass man die Einladung zu einem arabischen Familienessen erst annehmen soll, wenn sie dreimal ausgesprochen wurde. Ich schäme mich ein bisschen, als ich mit Götz Widmann im Ohr zum Hostel zurück laufe, und nehme mir vor, es beim nächsten Mal anders zu machen.

Auf dem Rückweg sehe ich nur noch Männer auf der Straße, ich schaue kaum nach rechts und links und lege wieder meinen strammsten Schritt an den Tag. Wenn ich doch mal zur Seite schaue, kreuzt mein Blick immer den eines Anderen. Insgeheim hatte ich gehofft, die Familie würde mich nicht nach Hause laufen lassen. Dass sie mir nicht angeboten haben, mich zu fahren, sagt mir andererseits, dass es wohl in Ordnung ist, das Stück auch nach Einbruch der Dunkelheit allein zu gehen. Dafür verzichte ich aber auf den Schlenker weg von der Hauptstraße, der eigentlich angenehmer, weil leiser ist.

In der Moschee ist gerade Hochbetrieb. Davor schaukeln Kinder, durch die Lautsprecher tönt diesmal nicht nur der übliche Singsang vom größten Gott, sondern auch eine Predigt, von der ich immer wieder einzelne Worte verstehe. Die Antwort, die ihm die Betenden in unregelmäßigen Abständen im Chor geben, klingt aus der Entfernung einem „Amen“ sehr, sehr ähnlich.


Mittwoch, 12. September 2007


Die wohl am meisten verblüffende Tatsache des gesamten Tages: Die Moschee hat mich nicht geweckt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das Morgengebet für mich ausfallen ließen. Aber aufgewacht bin ich erst vom Klingeln meines Weckers. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich mich so schnell daran gewöhnen und das Rufen ignorieren würde. Das menschliche Hirn ist schon eine famose Sache.

Heute am Morgen war der Einstufungstest. Erst sollten wir Dialoge hören und Fragen dazu beantworten, dann kamen ein Grammatikteil und ein Text mit weiteren Fragen. Nun ja, ich habe einige Sachen verstanden und beantworten können. Aber über Level A werde ich wohl doch nicht hinaus kommen. Der gesprochene Teil war viel zu schnell für mich, viele Vokabeln in den anderen beiden Teilen kannte ich nicht. Morgen um zehn gibt es die Ergebnisse. Schön war, danach mit den anderen Leuten zu reden und von ihnen die gleiche Einschätzung zu hören. Sicher haben einige von ihnen tief gestapelt und sich schlechter eingeschätzt, als sie tatsächlich abgeschnitten haben. Negativ aufgefallen ist allen eine Frau, die sich beim Lehrer beschwerte, dass der Test zu schwer gewesen sei. Sie schien eine Konvertitin zu sein – eine Europäerin mit streng gebundenem Kopftuch und langem Mantel, sehr weiß im Gesicht.

Danach wollte ich im Netz schauen, ob ich schon Antworten auf meine erste Mail bekommen habe. Der Rechner fand zwar sofort das drahtlose Netzwerk und ließ sich auch damit verbinden, doch dann ging nichts mehr. Weder Google, noch gmx, noch sonst irgendeine Seite ließen sich öffnen. Selbst nachdem mir ein freundlicher junger Mann mit den Proxy-Einstellungen geholfen hatte, passierte nichts auf meinem Bildschirm. Die Lösung: Der Microsoft Internet Explorer. Öffnen, Adresse eingeben, loslegen. Das Feuerfüchschen muss ich wohl erst mal ausrangieren. Warum die Technik nicht so will, wie ich sie gern hätte, versteh ich mal wieder nicht. Aber letztlich ist ja entscheidend, dass ich erreichbar bin. Und siehe da, es hatten schon liebe Menschen geantwortet. Dank an Euch! Ich hab mich sehr gefreut. Weil ich keine Lust hatte, auch noch das Kabel mitzuschleppen, schaffte ich es danach gerade noch so, mir einen Blog einzurichten. Füllen werd ich ihn erst morgen können. Denn nach der ersten Seite war mein Bildschirm schließlich schwarz. Die Rumprobiererei vorher hatte einfach zu lange gedauert, der Akku brauchte frischen Saft.

Danach bin ich noch ein bisschen sitzen geblieben. Habe von einer Amerikanerin die Telefonnummer eines jungen Mannes, der Appartements in der Nähe vermietet, bekommen. Ihn werde ich morgen Mittag treffen. Habe mit ein paar anderen Leuten gequatscht, war kurz Teil der german corner.

Auf dem Heimweg habe ich das Geld für die Miete abgehoben, auch wenn der Automat mal wieder nicht mehr als 250 Dinar auf einmal ausspucken wollte. Gegenüber dem Haupteingang der Uni streifte ich kurz durch eine Buchhandlung auf der Suche nach englischen Büchern. Gestern habe ich mit Bill Brysons „Notes from a Big Country“ begonnen – großartig fiese Texte über die Vereinigten Staaten, geschrieben von einem Amerikaner, der nach 20 Jahren Leben auf der britischen Insel in sein Heimatland zurückkehrt und ne Menge Dinge ludicrous, appalling, pointless und prepousterous findet – also lächerlich, entsetzlich, sinnlos und grotesk. Die Reclams von Paul Auster und John Steinbeck liegen noch im Regal – aber selbst wenn ich immer fleißig Arabisch pauke, jede Zeile der Jordan Times studiere und brav blogge, werde ich auch die sehr bald ausgelesen haben. Das Los der Wortjunkies – wir brauchen ständig neuen Stoff.

Nach dem Essen hab ich genickert und wurde schließlich doch noch von der Moschee geweckt, die diesmal zum Nachmittagsgebet rief. Gleich werde ich einige Dinge einkaufen gehen, denn morgen beginnt der Fastenmonat Ramadan. Tagsüber essen, trinken und rauchen werde ich dann nur hinter verschlossenen Türen. Auch wenn ich normalerweise sehr gut einen ganzen Tag lang ohne Essen auskomme – zu wissen, dass in meinem Zimmer leckere Sachen auf mich warten, wird mir das Mitfasten doch sehr erleichtern. Außerdem will ich schauen, ob Zeynat von der Rezeption Lust auf ein wenig Gesellschaft, eine Partie Backgammon oder ein paar holprige Sätze Arabisch hat. In den vergangenen Tagen wirkte es nicht, als wäre sie hinter ihrem Tresen sehr beschäftigt.

Ich treffe sie mit einer jordanischen Journalistin, die erzählt, dass sie nach der Kindererziehung zurück in den Job will, und sofort meine Visitenkarte in die Hand gedrückt bekommt. Wir reden ein bisschen, dann zieht es mich in den Supermarkt. Ein Topf für 6 Dinar, Gemüse, Nudeln und Tomatenmark, Milch, Instant-Kaffee, was für den süßen Zahn und endlich denke ich auch an das Toilettenpapier. Die Verkäufer sind sehr nett, auch als ich die Worte für Kartoffeln und Kuh verwechsle. Nicht batata, sondern bakara (beides tief hinten im Rachen gesprochen). Ziegenmilch im Kaffee will ich schließlich nicht.

Zeynat legt ihren Koran zur Seite, setzt sich mit mir zusammen. Ihre Bekannte ist schon wieder weg. Sie erzählt zuerst von ihrer Familie, sieben Schwestern und drei Brüder, dann von ihrer Ausbildung zur Krankenschwester. Bis abends um sieben dauere das Fasten, al-saum, aber ich könne gerne auch schon vorher kochen und essen, versichert sie mir. Schließlich wisse doch jeder, dass ich Christin sei. Ich verkneife mir jeden Kommentar zu dieser Annahme; habe ja noch deutlich das entsetzte Gesicht meines marokkanischen Sprachpartners vor Augen, als ich ihm sagte, ich hätte noch nie die Bibel komplett gelesen. Ich frage und frage – über das Beten, ob sie in die Moschee geht, was der Hischab, das Kopftuch, für sie bedeutet – erzähle ein paar Dinge über Deutschland, das Bildungssystem, die neuen Studiengebühren und dass es vor gut hundert Jahren für deutsche Frauen durchaus üblich war, in der Öffentlichkeit ein Kopftuch zu tragen. Wir plaudern zwei kurze Stunden, dann hat sie Feierabend und ich ziehe mich in mein Zimmer zurück, will nicht zu aufdringlich sein.

Mein Lieblingsarabisch heute: janni – ich denke, ich meine. Ein wunderbares Füllsel für alle Gelegenheiten.

Letzte Frage: Woher kommt die einsame Mücke, die mich gerade umsirrt und wohl an ein sicheres Abendbrot glaubt?

Dienstag, 11. September 2007

zwei in einem

Mir scheint, ich habe endlich ausgeschlafen. Die vergangene Nacht war unruhig, es steht 17 zu drei – 17 Mückenleichen, drei Stiche; die gesamte Nacht verbrachte ich schwitzend unter dünnen Tüchern, die die Biester tatsächlich von mir abhielten. Heute Morgen dann entdeckte ich doch noch das Fliegengitter am Fenster, das mir künftig ruhigere Nächte bescheren wird.

Den Morgen verbringe ich damit, Zeit zu vertändeln. Ich will mir später Amman anschauen, aber die übelste Mittagshitze vermeiden. Ich trinke Kaffee, rauche eine, zwei Zigaretten, vertilge die letzten Kekse aus der Bäckerei um die Ecke. Danach verschicke ich von dem Rechner an der Rezeption für einen Dinar meine erste Mail an die Lieben daheim, malträtiere mein Bankkonto, kontrolliere all meine virtuellen Identitäten. Die Ladezeiten sind fast so schnell wie in Deutschland. Ich werde keine neue E-Mail-Adresse brauchen, mein Internet-Leben wird sich wahrscheinlich fast gar nicht verändern.

Danach nehme ich mein Zimmer endgültig in Besitz, packe alle Klamotten bis auf die beiden dicken Pullover aus den Taschen und verteile Schreibkram, Kabel und Küchenutensilien in den Regalen. Der Traumfänger hängt am Fliegengitter, die Apotheke liegt griffbereit neben der Tür, der dämliche Stromadapter rutscht weiter fröhlich und regelmäßig aus der Dose. Die wichtigsten Daten sichere ich noch mal auf dem USB-Stick und der Festplatte.

Dass heute der 11. September ist, der Tag, an dem ich seit fünf Jahren Tagebuch führe, fällt mir erst ein, als ich den heutigen Text beginne. Vermutlich wird mir das Datum nirgendwo sonst begegnen.

Vor dem Abflug hatte ich noch gewitzelt, dass ich mich unbedingt am 11. September für meinen Sprachkurs anmelden wollte. Stattdessen habe ich das gestern schon erledigt. Zu Fuß brauche ich etwa zehn Minuten zur Uni, das Sprachzentrum liegt etwas versteckt hinter der Fakultät für Kunst. Privatsphäre ist im Büro von Omar Tawfiq, dem Betreuer der Sprachschüler, ein Fremdwort. Vor seinem Schreibtisch stehen sechs Stühle, die fast alle mit Wartenden besetzt sind. Ich erinnere mich dunkel, dass ich von ähnlichen Gepflogenheiten in arabischen Behörden bereits gelesen hatte.

Ich treffe vor dem Büro vor allem Deutsche – aus Münster und Heidelberg, Orientalistikstudenten und Islamwissenschaftler. Einzig ein übergewichtiges Pärchen kommt aus den USA; während ich wartend neben ihnen sitze, fallen ihr fast die Brüste aus dem Shirt. Dass ich Probleme habe, sein Englisch zu verstehen, finde ich allerdings weniger witzig.

Insgesamt dreimal laufe ich zwischen Sprachzentrum und Verwaltungsgebäude hin und her. Das erste Mal suche ich nur einen Geldautomaten und etwas zu trinken, laufe ein Stück weiter als nötig, um einen ersten Eindruck zu gewinnen. Die Kreditkarte gibt nur 350 Dinar frei, ich bräuchte 750 um mich anzumelden. Dann soll ich am nächsten Tag wiederkommen, Tawfiq Omar ist nicht aus der Ruhe zu bringen, hört das Problem wohl schon zum tausendsten Mal. Ich bin schon auf dem Weg zum Hauptausgang, da fällt mir die zweite Bankkarte ein, die ich bei mir trage. 500 Dinar spuckt der Automat aus ohne zu mucken. Ich bin darüber amüsiert, dass mein erster arabischer Satz an der Uni „aindi al-flus“ lautet – ich hab das Geld. Beim zweiten Mal erkenne ich Verwaltungsgebäude und Bank ohne Probleme wieder, reihe mich in die Schlangen ein und darf zahlen. Beim dritten Mal bin ich mit meinem neuen Studentenausweis in der Tasche auf dem Heimweg und zeige eben noch einer weiteren deutschen Bekanntschaft die Verwaltung.

Die Straßen auf dem Campus sind voll mit Menschen. Die Männer tragen meist Shirts und Jeans, manche Anzug, nur wenige das bodenlange weiße Gewand aus den Golfstaaten. Die meisten der jungen Frauen tragen Kopftuch, andere haben die langen dunklen Haare oft mit blonden Strähnen durchsetzt und offen. Kurze Haare tragen offensichtlich nur die Ausländerinnen. Zweimal sehe ich voll verschleierte Frauen, einmal kommt mir ein Mädchen in Dreiviertel-Hosen entgegen. Sie läuft zügig und in der Mitte des Weges. Die meisten tragen Hosen, oft einen Mantel oder zumindest ein knielanges Hemd darüber, ganz selten nur einen bodenlangen Rock. Das Kopftuch passt in der Regel entweder zur Handtasche oder dem Oberteil. Auf die Auswahl ihrer Kleidung scheinen sie alle sehr viel Wert zu legen, nichts scheint dem Zufall überlassen, Farben und Muster sind zum Teil exquisit und ich entdecke einige große Modenamen auf ihren Handtaschen.

Mein Lächeln wird nur selten beantwortet, ich kann die Blicke nicht recht deuten. Meine Hose und meine Bluse sind weiß und weit und sollten eigentlich keinen Anstoß erregen. Vielleicht sind es die kurzen Haare, vielleicht die Bauchtasche, vielleicht die Crocs, vielleicht einfach nur die Neugier.

Das mit dem Lächeln klappt heute in der Stadt sehr viel besser. Vor allem die älteren Frauen lächeln zurück, die jüngeren dagegen verziehen meist keine Miene. Auf die Rufe der Verkäufer reagiere ich nicht, nur manchmal lächle ich und winke ab. In einer stinkenden Gasse pfeifen sie mir hinterher, ich dreh mich nicht mal um, schaue nur einen, der ein paar Meter weiter lacht, mit gehobenen Augenbrauen und Runzelstirn an. Eigentlich wollte ich den Spaziergang im T-Shirt wagen, nun bin ich doch froh, mich für lange Arme entschieden zu haben. Nackte Arme sehe ich tatsächlich nur bei den Touristinnen – und die tapern nicht allein durch die Gegend.

Ich versuche mich im Getümmel rund um den wasat al-balad zu bewegen, als wäre es nicht erst mein zweiter Tag hier. Laufe gemächlich, schaue in die tausendundeinen Läden und auf die Auslagen der Händlerinnen auf dem Bürgersteig, esse Hühnchen mit Reis in einem der Imbisse (natürlich im Obergeschoss, wie es sich für eine Frau gehört), drängle mich durch den übervollen Gemüsemarkt, winke mir ein Taxi heran, als die Dämmerung beginnt. Es gibt alles – von Klamotten und Schuhen über Möbel und Stereoanlagen bis hin zu Kinderspielzeug, Parfüm und Haushaltswaren. Ich sehe sogar eine Schmiede und zwei Haustierläden mit gefärbten Küken und übervollen Aquarien. Im überall reichlich vorhandenen Müll wühlen gescheckte Katzen.

Allerdings finde ich mal wieder erst heraus, wo genau ich entlang gelaufen bin, nachdem ich im Hostel angekommen bin und mich bei Whiskey-Kakao über die Karten lümmele. Denn Straßenschilder sind wirklich selten und das Englisch der Leute auf der Straße ist kaum besser als mein Arabisch. Den arabischen Stadtplan aus dem Tourismusbüro im Flughafen mitgenommen zu haben, erweist sich als hervorragende Idee – mit der Karte im Reiseführer können die Taxifahrer nichts anfangen, mit der chaarta ammaan dagegen schon. Beruhigend ist, dass ich so ziemlich da war, wo ich hinwollte. Eklig dagegen ist der Geruch meiner Kleider und Haare, der mir erst beim Betreten meines Zimmers so richtig auffällt. Das Ladenviertel ist von vielbefahrenen Straßen durchzogen, die Abgase hängen an mir fest. Den nächsten Bummel hier werd ich wohl erst machen, wenn ich wirklich etwas kaufen muss. Idyllisch jedenfalls geht anders, wie erwartet erinnert mich Amman mehr an Athen als an Erfurt.

Auf dem Weg zum dachlia wahida, dem ersten von sieben (eigentlich acht) Kreiseln, entdecke ich aus dem Minibus heraus die Jordan Press Foundation, die Herausgeber der Jordan Times. Sie ist nicht sehr weit von meinem Hostel entfernt, in den nächsten Wochen will ich mich schon mal dort vorstellen. Die neue Wohnung sollte also auf jeden Fall irgendwo hier im Viertel sein. Auf dem Rückweg erkenne ich das Gebäude wieder, genau wie die Moschee hinter meinem Hostel. Mein Brieftaubensuchsystem wird hier wohl auch funktionieren.

Ich begutachte noch den Fitnessraum neben dem Hostel, den ich kostenlos nutzen kann. Dass ich tatsächlich anfange, mich auf solchen Maschinen zu quälen, bezweifle ich allerdings. Der Pool sieht hübsch aus, ob ich fürs Schwimmen Geld ausgeben will, weiß ich aber noch nicht. Zeyna von der Rezeption vertröste ich nochmals, weil ich keine Lust hatte, mitten in der Stadt die 300 Dinar für die Miete abzuheben und durch die Gegend zu tragen. Die Uni scheint mir ein besserer Ort für solche Transaktionen zu seit. Sie lächelt und versichert, dass es kein Problem sei.

Morgen um neun schlägt die Stunde der Wahrheit. Placement test für den Arabisch-Kurs. Ich habe keinen blassen Schimmer, was auf mich zukommt. Eigentlich wollte ich noch mal ein paar Vokabeln pauken, vielleicht höre ich gleich noch mal in meinen Audio-Sprachkurs rein. Ich hoffe, dass mein Wissen zumindest für die zweite Stufe ausreicht.

Das Fliegengitter verhindert übrigens tatsächlich weitere Massaker in meinem Zimmer. Ich liege seit zwei Stunden bei offenem Fenster unter der Neonröhre und habe noch keinen einzigen ungebetenen Gast entdeckt, geschweige denn gespürt. Erleichterung! Auch über die Blasenpflaster, dank derer der Spaziergang heute problemlos beschwingt verlief. ma muschkila, kein Problem ;)

Was ich allerdings nicht verstehe: Seit wann heißt es der Gitter? Die Windowrechtsschreibprüfung besteht nämlich darauf, dass das (Fliegen-)Gitter falsch ist. Wer kann für Aufklärung sorgen? Der Fliegengitter, das Fliegengitter, die Fliegengitter – seltsam, jetzt markiert er keine Version als falsch... Der Rechner wird ja die das-Version ja wohl nicht plötzlich akzeptieren, nur weil ich sie zum dritten Mal geschrieben habe? Wunderwelt der Technik.

Sonntag, 9. September 2007

Angekommen.

Mein Schutzengel hat ganze Arbeit geleistet. Es ist alles so glatt gelaufen, als wäre ich nur mal eben zu meinem Opa gefahren. Jetzt sitze ich bei knapp 25 Grad in meinem female hostel in Amman, neben mir die Plastiktasse mit Schokomilch und einem milden irischen Whiskey aus dem Duty free, im Regal der Weltempfänger mit Beat.Fm und der üblichen Musik, grade eben erst lief Amy Winehouse, überall im Zimmer sind schon Sachen verteilt. Das Zimmer ist teurer geworden als im Internet angegeben, aber ich will ohnehin nicht allzu lange hier bleiben.

Die liebe T. hat mich zum Flughafen gebracht. Ich habe fast ohne Unterbrechung geredet, einen Piccolo getrunken und mit ihr eine letzte Zigarette vor dem Terminal geraucht. Kaum saß ich im Flugzeug, fielen mir auch schon die Augen zu. Nur zum Start riss ich sie noch mal auf, weil ich das Gefühl beim Abheben so gerne mag und es nicht verpassen wollte. Das Essen verschlief ich fast. Während des Nickerchens danach nahm eine der Stewardessen meinen Freitag mit und meine erste gedruckte Ausgabe der Jordan Times. Ich hatte beide nur kurz angeschaut, wollte sie eigentlich später lesen. Aber der Schlafentzug der vergangenen Tage muss wohl Opfer fordern.

Das Essen war hervorragend, es gab Metallbesteck und selbst die Trinkbecher trugen das Krönchen der Royal Jordanien. Die Stewardessen sprachen Englisch und Arabisch und trugen bis auf die Frau in der ersten Klasse rote Kostüme. Die Stewardess der ersten Klasse war die einzige Blondine und steckte in einem scheinbar traditionellen Gewand, später im Flughafen von Amman sah ich sie in der roten Uniform. Nach dem Essen wachte ich erst auf, als der Dutyfree-Wagen durch den Gang schepperte, unter uns tauchte gerade Israel auf. Die Küste, kleine Ortschaften, alles sah sehr friedlich aus. Dann ein Fluss, zerklüftete Berge, eine riesige, hell erleuchtete Stadt. Das kann eigentlich nur Jerusalem gewesen sein. Tiefer und tiefer sank das Flugzeug und plötzlich tauchte im Sand die Rollbahn auf. Es ruckelte und hoppelte und dann standen wir, ich zählte sechs Gates, vermutlich sind es mehr.

Meine Scheu, Englisch zu sprechen, scheine ich vergessen zu haben. Ich texte den Geldwechsler zu, den Passkontrolleur, den Taxifahrer, die nette Frau an der Rezeption. Zwischendrin fehlen mir Worte, Feuerzeug zum Beispiel will mir partout nur auf Französisch einfallen. Dafür streue ich arabische Vokabeln ein, die meine Gesprächspartner allerdings nicht immer sofort verstehen.

Aus dem Taxi luge ich in andere Autos. In einem dicken Geländewagen schminkt sich eine junge Frau auf dem Beifahrersitz und sieht aus, als wolle sie gleich ins Nightrooms oder einen ähnlichen Schuppen mit Dresscode gehen, schulterfrei, tief dekolletiert, sorgfältig in Form gelegte Haare. Den nächsten Wagen lenkt eine ältere Frau mit Kopftuch, ihr Begleiter sitzt daneben. Eine andere junge Frau sitzt mit langen, offenen Haaren allein im Auto, wirkt nachdenklich. Auf den Straßen sehe ich Frauen in T-Shirts, dann wieder klassisch gebundene Kopftücher. Ich finde mich selbst kurz mal doof, weil ich mir vorher so viele Gedanken um meine Kleidung gemacht habe. Letztlich wird aber auch das kein Fehler gewesen sein.

Das Zimmer ist rot und weiß und geräumig, noch steht allerdings ein zweites Bett neben meinem. Zeynat von der Rezeption verspricht, dass es morgen verschwindet, in’scha’allah. Wenn Gott mitspielt, werden auch das Türschloss und der Toilettensitz repariert. Ich bin gespannt. Ein großer Schrank – den darin versteckten Safe könnte ich mit einer Hand wegtragen – zwei kleine Regale, Schreibtisch, Stuhl, Hocker; der Kühlschrank brummt, der Adapter passt in die Steckdose. Allerdings rutscht der Stecker vom Laptop erst mit einem Streifen Tesafilm nicht mehr raus.

Die Universität soll knapp fünfzehn Minuten zu Fuß entfernt sein. Das wird mein erster Weg morgen. Ein paar Schritte die Straße runter sind ein paar Läden – zwei Supermärkte, zwei Friseure, zwei Telefonläden, ein Bäcker, ein Grill. Ich besorge Wasser, Schokomilch und Kekse. Neben Müllcontainern steht eine winzige Bude mit einem Kaffeeautomaten, daneben zwei Kühlschränke mit Cola und Co. Der Kaffee ist gut, ich werde in den nächsten Wochen wohl Stammkundin werden.

Das neue Geld verwirrt mich noch, die Scheine sind zu groß für meine Geldbörse. Zum Glück habe ich lange vor dem Abflug eine anderes Täschchen gekauft und es mitgenommen, obwohl ich nicht genau wusste, wofür ich es benutzen würde. Die Männer an den Kassen amüsieren sich über mich, aber ich glaube, sie geben mir richtig raus.

Vor den Läden sitzen junge Männer, unterhalten sich, schauen mir nach. Ich vermeide Blickkontakt und werde auch nicht angesprochen. Ich hoffe, dass ich mich bald auch nicht mehr daran störe, beobachtet zu werden, wenn ich allein durch die Straßen streife.