Montag, 12. Dezember 2011

Das hier sollte mal ein Tagebuch sein. Das war es nie wirklich, aber seit ich angefangen habe, auf Englisch zu schreiben, hat die Frequenz der Veröffentlichungen wirklich extrem abgenommen. Ich kann halt immer noch nicht einfach mal englisch drauflosschreiben. Aus Angst, Fehler zu machen, die ich in meiner Muttersprache nie machen würde, sinniere ich bei jedem Text mehr über Präpositionen als den eigentlichen Inhalt. Und da jetzt gerade eine Zeit ist, in der sehr viele Gedanken es wert scheinen, festgehalten zu werden, werde ich das ab sofort wieder ändern.

Sorry, dear international friends!

Übermorgen fängt die zweite große Runde der Parlamentswahlen statt. Es ist ein äußerst verwirrendes System. Dreimal werden an jeweils 2 Tagen Kandidaten für das Parlament gewählt. Die erste Runde war schon, die zweite beginnt morgen und die dritte im Januar. Gewählt werden je zwei Direktkandidaten und ein Listenkandidat pro Wahlkreis. Wer mehr wissen will, führe sich das PDF der Konrad-Adenauer-Stiftung zu Gemüte, das ins Detail geht.
Die Ergebnisse der Direktkandidaten werden direkt nach jeder Runde verkündet – beim letzten Mal dauerte das bis Freitag; gewählt wurde Montag und Dienstag. Gibt es keine eindeutige Mehrheit, müssen die beiden, die ab besten abgeschnitten haben, in die Stichwahl.
Die Ergebnisse der Listenplätze gibt es im Januar und danach geht es an die Wahl des Oberhauses und des Präsidenten. Das Oberhaus wird nicht vollständig gewählt, ein nicht unerklecklicher Teil der Mitglieder wird ernannt. Von wem auch immer – derzeit geht es ganz schön hoch her in Sachen Regierungsbildung und „Wer hat hier eigentlich das Sagen?“ Zweifellos das Militär, aber davon später mehr...

Es gibt 36 Parteien, die sich zum Teil zu Blöcken zusammengeschlossen haben. Die Hauptströmungen sind Islamisten und Säkulare, dazu noch Rechte/Nationale und Linke. Eine Einteilung, die in mein deutsches Raster noch nicht ganz reinpasst. Einige Blöcke sind zudem recht bunt zusammengewürfelt und haben sich quer über die Strömungen verbunden. Das folgende Bild habe ich vor dem Start der Wahlen auf Facebook bei einer ägyptischen Freundin gesehen, die ursprüngliche Quelle hab ich leider nicht mit abgespeichert. Sorry, sorry! edit: Jetzt habe ich doch per Zufall den Namen des Autors wiedergefunden: "Jacopo Carbonari, an intern at the EU Delegation to Egypt" hat diese Übersicht angefertigt. Auch wenn ich schon Kritik daran gehört habe, scheint es doch die bisher beste Übersicht über die aktuelle Parteienlandschaft überhautp zu sein.

Die Ergebnisse der ersten Runde, die ich in verschiedenen Medien gelesen habe, gehen etwas auseinander, aber die Tendenz ist klar. Wie allgemein erwartet, haben die Muslimbrüder zwischen 40 und 50 Prozent geholt. Die Liberalen haben mäßig abgeschnitten. Die Vertreter der revolutionären Jugend sowie Frauen sind quasi nicht im Parlament vertreten. Und extrem überraschend für alle, mit denen ich ich so rede oder von denen ich lese, haben die Salafisten irgendwas zwischen 20 und 30 Prozent geholt.
Wer sind die Salafis?, habe ich mich gefragt. Den Begriff hatte ich wohl schon gehört, auch eine ungefähre Einordnung dazu geliefert bekommen – ich liebe Radio! Aber da niemand mit ihnen rechnete, zumindest nicht in der westlichen Hemisphäre – in der ich ja bis November meine Nachrichten konsumiert habe – waren die Salafisten auf meiner politischen Landkarte ein weißer Fleck. Nicht, dass ich die ägyptischen Parteien wirklich ordnen könnte, mehr als die Strömungen und einige größere Parteien bzw. Blöcke haben sich noch nicht im Hirn festgesetzt.

Salafis? Machtbewusst!
Einem führenden Vertreter, der direkt vor den Stichwahlen darüber schwadronierte, dass Demokratie keineswegs islamisch sei, wurde von seiner Partei al-Nour (das Licht) ein Maulkorb verpasst. Wenn ich es zeitlich richtig wahrgenommen habe, allerdings erst nachdem er seinen sicher geglaubten Sitz im Parlament doch nicht bekam. Den gewann stattdessen ein Muslimbruder.
Aus mehreren Quellen hörte ich übrigens von Liberalen, die sich entweder genötigt sahen, einem Muslimbruder ihre Stimme zu geben, oder erst gar nicht zur Stichwahl gingen, weil sie eh nur die Wahl zwischen Pest und Cholara aka Muslimbruder oder Salafi hatten.
Die Muslimbrüder bzw. ihre Partei „Freiheit und Gerechtigkeit“ hatten bisher ein Bündnis mit den Salafisten abgelehnt. Nach der Verkündung der Ergebnisse der ersten Runde halten sie sich fein bedeckt. Die Salafis hingegen drängen auf ein Bekenntnis zu einer islamischen Koalition.
Und in ihrem Eifer ihre Radikalität herunterzuspielen, enttarnen sie sich dann doch. Natürlich könne das Parlament keine Frau verpflichten, ein Kopftuch zu tragen, aber religiöse Institutionen wie die al-Azhar, die könnten das wohl. Zudem sei der Koran in dieser Sache ganz klar, Kopftuch tragen ist Pflicht...
Die Sache mit dem Tourismus und den Ausländern und dem Alkohol ist auch so eine. Derzeit kann man, wenn man die Augen offen hält, Alkohol überall kaufen. Es gibt spezielle Läden, aber ich habe auch schon Wein und Bier im Mini-Markt um die Ecke gesehen. Dabei, hört, hört, ist Alkohol auch im Christentum verboten. Haben jedenfalls die Salafis von christlichen Priestern gehört, erzählen sie. Gut das ich keine Christin bin... „Lustiger“ Artikel der englischen Ausgabe von al-Masri al-Jaum (Der Ägypter heute).

Und dann war da noch die Sache mit dem Taxifahrer. Woher ich denn komme, will er wissen. Aus Frankreich vielleicht? Und dann will er mir vorschwärmen, wie toll ausländische Frauen seien, was ich damit kontere, dass alle Frauen toll seien. Da muss er zustimmen.
Er will natürlich wissen, ob ich einen Freund habe, einen Ehemann gar, und ich sage, klar bin ich verheiratet – schließlich will ich die Frage nach meiner Telefonnummer nicht hören – und habe auch viele männliche Freunde. Das Konzept einer platonischen Freundschaft kann ich ihm nicht wirklich begreiflich machen und ich fürchte, das liegt nicht nur an meinen mangelhaften Sprachkenntnissen. Er ist immer noch der Meinung, dass Männer und Frauen, die befreundet sind, Sex haben müssen und dass das aber nur in einer Ehe stattzufinden habe.
Hin und her, hin und her ... und mit seiner Frau zum Beispiel spreche er nur über den alltägliche Dinge, über Politik oder so könne man mit ihr nicht reden. Wie ich denn da mit wildfremden Männern alle möglichen Themen besprechen könne? Na, sag ich, über Sex muss man jedenfalls auch nicht die ganze Zeit reden. (Sex war im übrigen so ziemlich sein einziges englisches Wort.) Gut, meint er, wechseln wir das Thema.
Was er denn wähle am kommenden Montag, will ich wissen, es sind schließlich nur noch zwei Tage bis zur ersten Runde der Wahlen. Die Salafisten, sagt er, die Salafis sind die besten für das Land. Ich während ich noch über seine Antwort staune, spricht er schon wieder über Sex.
Meine Erfahrung aus der westlichen Welt: Wenn ein Mann und eine Frau sich unterhalten und es geht um Sex, dann kennen sie sich entweder schon sehr lange und gut und durchaus auch platonisch oder einer von beiden respektive beide wollen Sex haben.

Okay, ist lang geworden. Hat sich offensichtlich einiges aufgestaut. Demnächst mehr in diesem Theater. Ich freu mich, wenn wer mal reinklickt!