Freitag, 15. Juni 2012

Warum also, wo ich doch so häufig über den Wahlkampf berichtet habe, habe ich noch kein Wort zum Ergebnis verloren. Die Wahrheit ist: Ich stehe unter Schock.
Im vergangenen Jahr habe ich mitgezittert, Revolutionsluft geschnuppert, über vergossenes Blut den Kopf geschüttelt, Tränengas gerochen, versucht Sinn aus allem zu machen. In diesem Jahr wurde ich von Tag zu Tag pessimistischer, ohne wirklich zu wissen warum. Nichts schien voranzugehen, Leute starben immer noch auf der Straße, wurde wegen unsinniger Gründe vor Gericht zitiert oder eingesperrt, alte Figuren tauchten wieder im Vordergrund auf, neue, denen ich nicht mit weniger Skepsis begegnen konnte, wurden populär.
Und dann dieses Ergebnis. Der letzte Mubarak-Premier und der aus dem Hut gezauberte Muslimbruder, die gemeinsam kaum mehr Stimmen bekamen als die beiden Kandidaten, die von meinen liberalen Freunden gewählt wurden. Bis gestern dann noch die leise, eher verzweifelte Hoffnung, dass der Felul per Gesetz vor der Stichwahl disqualifiziert wird. Stattdessen entschied das Verfassungsgericht, dass ein Teil des Parlaments nicht der Verfassung entspricht und deshalb neu gewählt werden muss. Und die Versammlung, die die neue Verfassung schreiben soll, ist noch immer nicht zusammengetreten.
Im vergangenen März war mir nicht wirklich klar, was dieses Ja zum Verfassungsreferendum bedeutete. Jetzt, nach allen Geschehnissen, die in meinem hoffnungsvollen Gemüt heilloses Durcheinander anrichteten, scheint alles nur zu einem Schluss zu führen. Es hat sich nichts geändert und es wird sich nichts ändern. Die Propaganda-Maschine läuft und sie steht im Dienst der Konterrevolution. Die alten Hände ziehen die Strippen, die jungen sind müde, verzweifelt oder tot. Die Revolution war eine Illusion.
Wenn auch vielleicht nicht ausschließlich. Ich erinnere mich an den Schwung, die Energie in diesen Wochen nach den 18 Tage im Januar und Februar 2011. Werde aber auch nie vergessen, wie mir fast die Kaffeetasse aus der Hand gefallen ist, als aus dem Radio der Satz drang „In Ägypten hat das Militär die Macht übernommen“. Und denke mir heute, dass dieser Satz völliger Nonsens war. Weil nämlich die Macht immer beim Militär lag. Alle drei Präsidenten waren Offiziere. Und Männerbünde brechen selten, heißen sie nun Mafia oder Militär, solange nur Macht und Privilegien nicht angetastet werden.
Und ich schulde diesem Blog noch immer einen Beitrag zum ägyptischen Militär.
Ich habe so viel gelernt im vergangenen Jahr, verstehe noch immer so vieles nicht. Hatte mit so heißem Herzen gehofft und geglaubt und sogar gestritten und war doch einfach nur naiv. Jetzt fügen sich die Puzzleteile zusammen. Das Bild ist ein anderes als meine rosigen Prognosen von vor einem Jahr. Es zeigt: Ein Anfang ist gemacht. Aber der Weg dahinter ist lang, verschlungen und birgt diverse Stolpersteine.

Über Saudi-Arabien geht die Sonne auf.