Montag, 25. Februar 2008

Ein Freund eines Freundes hat einen Film gedreht, „Meine Stadt“, مدينتي. Er spricht darin von der Unsitte, Frauen im so genannten gefährlichen Alter, zwischen 12 und 30, nicht aus dem Haus zu lassen bis sie verheiratet sind. Danach dürfen sie in einer der nahen Textilfabriken arbeiten, so der Tenor des Dokumentarfilms. Die Stadt heißt Um Quais, im Norden Jordaniens gelegen, gegenüber der Golanhöhen, an den Grenzen zu Syrien und Israel.

Der Bus aus Irbid muss an einem Militärposten halten, die Pässe der Männer werden kontrolliert. Die Frauen müssen sich nicht rühren, nicht mal ich Ausländerin, gut zu erkennen am fehlenden Kopftuch.

Meine Verabredung mit einer der Frauen aus dem Film verzögert sich, sie hat Migräne, muss ihre anderthalbjährige Tochter betreuen. Ich laufe durch die römischen Ruinen, um mir die Zeit zu vertreiben. Alles grünt, zwischen den alten Steinen blüht es gelb und orange, weiß und lila. Vor dem Knatschrot des Mohns kapituliert die Kamera, nicht zum ersten Mal. Die Luft ist so klar, dass mir zum ersten Mal wieder bewusst wird, wie viele Abgase ich in Amman täglich einatme. Ich treffe nur vereinzelt Touristen, höre oft kaum mehr als das Summen der Bienen. Der Ausblick auf die Berge, den See Genezareth, den Yarmouk ist von Wolken getrübt und dennoch berauschend.

Andalib hat einen Freund zur Diskussion eingeladen. Wir sitzen im Romero Resthouse, gebaut aus den typischen weißen und schwarzen Steinen, wunderschön hergerichtet mit Fotos der Ruinen, Pflanzen und großen Fenstern. Eine rot-grau-getigerte Katze bettelt mit hoher Stimme, zwischen den Steinen sammelt eine alte Frau einen Sack voll Gras, ein Mädchen schlendert in grüner Schuluniform nach Hause.

Andalib ist die einzige Frau des Dorfes, die offiziell in den Ruinen arbeitet. Die studierte Anthroposophin bedient im Restaurant und hilft im daneben gelegenen Lädchen, das Handwerkskunst verkauft – für 4 Dinar pro Tag. Ibrahim hat Tourismusmanagement studiert, doch bezahlte Arbeit gibt es in Um Quais für ihn nicht. Er arbeite hin und wieder ehrenamtlich für Projekte in den Ruinen, hält sich sonst mit der Ernte seiner Olivenbäume über Wasser. In der zuweilen hitzigen Diskussion höre ich zum ersten, aber nicht zum letzten Mal: Der Film hat nichts mit der Realität zu tun.

Die beiden streiten sich vor allem über die Rolle des Islam. Andalib würde ihre Religion am liebsten ins Privatleben und aus allen politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen verbannen. Für Ibrahim ist der Islam die Grundessenz seines Lebens, ein Wandel hin zu mehr Gleichberechtigung nur in diesem Rahmen vorstellbar. Immer wieder ziehen sie Vergleiche, weil doch nirgends auf der Welt die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern realisiert sei. Ich kann kaum widersprechen.

Ich darf nicht für mein Essen zahlen, auch die Übernachtung in der pompös eingerichteten Wohnung soll kostenlos sein. Wie ich mich dafür revanchieren soll, ist mir noch schleierhaft.

Am Abend besuche ich drei Familien im Ort. Am Straßenrand sitzen ein paar Jungs und rauchen Wasserpfeife, Autos fahren nur im Minutenabstand. Youssif sammelt mich in der Ortsmitte auf.

Schon bei der ersten Zigarette will er wissen, ob es schwer sei, eine Einladung nach Deutschland zu bekommen. Später schaut er mir statt ins Gesicht in der Ausschnitt, tätschelt meinen Kopf, als ich ihm viel Glück bei der Suche nach einer ausländischen Ehefrau wünsche. Ich kann gar nicht böse darüber sein, würde ähnliches wahrscheinlich auch versuchen.

Seine Schwestern haben Besuch. Mit Kaffee, Orangen und Gebäck sitzen acht Frauen auf den Polstern am Boden, die Beine in Decken gewickelt, in der Mitte des Raums brennt ein Gasheizer. Einen Job finden, nennen mir die Jungen als Hauptproblem, direkt gefolgt von der Suche nach dem passenden Ehemann. „Dabei dürfen wir nie den ersten Schritt machen“, klagen sie, „denn dann machen wir einen schlechten Eindruck und die Männer heiraten uns nicht.“ Die Stewardess hat die Hoffnung auf eine Ehe schon aufgegeben, ihr Beruf gilt vielen als unmoralisch, weil sie auch mit Männern zusammenarbeiten muss. Eine der zwei Lehrerinnen ist trotz sechs Jahren Ehe kinderlos, Fragenden erzählt sie mittlerweile nicht mehr, dass es eine bewusste Entscheidung zugunsten ihrer Arbeit sei, sondern dass das Paar medizinische Probleme habe. Die Alten schütteln den Kopf „Wir sind glücklich, wir haben Kinder, wir haben Enkelkinder, wir müssen nicht mehr so viel arbeiten.“

Im nächsten Raum sitzen vor allem alte Frauen in der Runde. Sie haben nie außerhalb des Hauses gearbeitet, wollten das auch nie, denn die bis zu zehn Kinder füllten ihren Tag ausreichend aus. Ein Baby liegt in Decken gewickelt auf den Polstern, ein knapp Vierjähriger drückt sich zwischen Mutter und übersetzendem Onkel hin und her. Die einzige Tochter des Hauses hat nach dem Studium sechs Monate gearbeitet, ist seitdem nur noch Mutter. Noch mehr Kinder will sie nicht, hofft stattdessen auf einen Job. Die Alten nicken zustimmend, loben die Familienplanung. Mir scheint die Gelegenheit recht, nach Ehrenmorden zu fragen. Die Alten wollen nicht, doch mein Arabisch ist mittlerweile so weit, dass ich auch ohne Übersetzung verstehe, dass sie von einem Fall wissen. Ich insistiere. „Das war aber nicht hier, das war in Zarqa“, werde ich abgewehrt, bevor mir versichert wird, dass sie eine Heirat die bessere Lösung bei den seltenen Fällen von unehelichem Geschlechtsverkehr sei. „Wir sind ein kleines Dorf, hier kennt jeder jeden, da passiert nichts im Geheimen.“

Der dritte Raum, drei junge Frauen, zwei gerade mit dem Studium fertig, eine noch mittendrin. Sie albern herum, foppen ihren älteren Bruder, betrachten sich als gleichberechtigt. „Natürlich will ich arbeiten, auch wenn ich verheiratet bin. Ich habe doch studiert, um zu arbeiten.“ In einer Wohnung alleine zu wohnen, macht allerdings allen dreien Angst, auch wenn sie nicht genau sagen können, wovor sie sich eigentlich fürchten. Gut, sie dürften nicht alleine ins Ausland fahren, aber sonst sei doch alles wie bei den Jungs, sie könnten das Haus allein verlassen, Partys feiern, studieren. Eine halbe Stunde vorher hat die Mutter des Hauses ins gleiche Horn geblasen. „Sie müssen nur sagen, wohin sie gehen. Wegen der Sicherheit.“

Die alte Tradition der „Scham“ scheint tatsächlich zu brechen. Gleichberechtigung habe ich nicht gesehen.