Sonntag, 26. August 2007


Ich starre auf die weiße Seite. Länger. Feist kommt dünn aus dem Rechner, sechs Meter weiter schläft mein Bruder. Ich kann das nicht in Worte fassen. Wir verstehen uns gut, doch meine ewige Skepsis steht zwischen uns.

*pause*

Dieser Tag ist vielleicht kein Thema für ein öffentliches Tagebuch. Ich will versuchen zu schreiben, als wäre er es doch.

*rauchpause*

Als ich die Augen öffnete, saß er im Sessel und las meine Magisterarbeit. Er sagt nichts dazu. Am Abend vorher wollte er an einer Stelle in der Einleitung wissen, ob ich schreiben musste, was ich schrieb. Ich verneinte.

Ich muss noch etwas schreiben, er setzt sich an seinen Schreibtisch. Er kocht, mildes Curry. hathaa ladiith dschiddan – das ist sehr lecker. Ich lese sein Exposè, wir hören Musik. Essen, schauen ein Video von ihm und seinen Freunden, ich schlafe zwischendrin kurz ein. Er sagt später, er habe es nicht bemerkt. Der Minutenschlaf hat mich erfrischt. Wir gehen los, Internetcafé und Eis essen. Die Sonne scheint nicht mehr so stark, es ist angenehm warm. Wir fotografieren schiefe Häuser, den Dom und uns.

Der Typ im Internetcafé hat soviel Ahnung von den Rechnern, dass er mich die Netzwerkumgebung auf dem Administratoren-Rechner suchen lässt. Das Problem mit dem undruckbaren Bahnticket löse ich nicht, weil ich eigentlich auch keine Ahnung von Computern habe. Aber das Ticket ist auf meinem USB-Stick gespeichert. Und mein Bruder hat zwar keinen Rechner mehr, aber sein Drucker funktioniert.

Er ruft seine Schwester an. Ich bin nicht mit ihr verwandet und doch jetzt verbunden. Sie hat Geburtstag und als er mir das Telefon in die Hand drückt, gratuliere ich artig. Wir tauschen ein paar nette Floskeln und werden uns wohl kennen lernen. Ich reiche das Telefon zurück, sie reicht es weiter an seine Mutter. Sie reden einige Minuten, danach sagt er: „Na, die hätte gerne doch schon jetzt mit dir gesprochen.“ Ich bin froh, dass er mir das Telefon nicht wieder ans Ohr gehalten hat und ich zugreifen musste.

Ich telefoniere mit meinem Opa, kündige mein Kommen an. Er ist überrascht, freut sich, wird mich vom Bahnhof abholen.

Wir schauen einen Bilderbogen auf meinem Laptop an. Der Kater, meist schlafend. Teile meiner Wohnung. Festivalbilder, erst meine, dann seine. Ich muss noch unbedingt das erste Kapitel seines Romans lesen. Immer wieder kam das Heft ins Spiel. Als er es mir jetzt in die Hand drückt und danach seinen Kopf schlaffein auf meine Hüfte bettet, kann ich mich endgültig nicht mehr wehren. Ich habe Scheu, denn die Kurzgeschichte am Abend vorher war furchtbar. Jetzt sind es Kleinigkeiten, die mich stören, auch mal ein ganzer Absatz. Eine phantastische Geschichte, spannend erzählt. Mit Liebe zum Detail, so wie ich meine Fantasy-Bücher liebe. Das Projekt ist groß, er spricht nur halb im Scherz von sechs Jahren. Ich muss mit meinem Urteil warten, wenn mir denn überhaupt eins zusteht. Dabei mag ich doch mein Leben eigentlich nur, wenn es hübsch geordnet ist.

Auch der letzte Satz ist natürlich nur eine halbe Wahrheit. Ich wünsche mir einen Ankerplatz. Einen Ort, an den ich zurückkehren kann. Zum Luft holen oder zum Austoben. Alles sollte dort möglich sein. Doch es soll nur ein Anker sein, ein Teil meines Lebens, nicht mein gesamtes Leben. Wie weit ich davon fortgehe und wie lange, wäre meine Entscheidung. Auch wenn ich hoffe, nie ganz allein entscheiden zu müssen.

„Gute Nacht, mein Schatz“, rief er von seinem Hochbett herunter, leila sa’ida, ja habibi antwortete ich, die Silben noch immer reichlich verstolpernd.