Samstag, 10. März 2012

Ich bin zurück in Kairo und entschuldige mich bei allen, bei denen ich mich nicht gemeldet habe. Ich brauchte eine Pause, dringend! Das Leben ist anstrengend hier, die politischen Ereignisse zerren an meinen Nerven und so eine Feldforschung läuft auch nicht immer so geradlinig wie sie vor dem Abflug auf Papier geschrieben stand. Deshalb musste ich irgendwann beschließen, niemanden mehr zu treffen oder anzurufen, sondern nur noch die Füße hochzulegen.

Jetzt bin ich also zurück und bin wieder mitten drin. Fassungsloses Kopfschütteln und überraschende Freude, Wut und Zuneigung, nervenzerüttendes Getümmel und kleine Schätze, es mischt sich wieder täglich alles. Gestern dachte ich kurz darüber nach, das Haus nicht zu verlassen, obwohl ich verabredet war.

Meine Mitbewohnerin kam mit der Nachricht, dass es wieder Zusammenstöße gab, wieder direkt um die Ecke. Diesmal vor der amerikanischen Botschaft und beginnend mit Protesten gegen die Ausreiseerlaubnis für Mitarbeiter der hauptsächlich amerikanischen Nicht-Regierungsorganisationen, die nach Razzien wegen angeblich illegaler Finanzierung im Dezember zunächst an der Ausreise gehindert und dann vor Gericht gestellt worden waren. Seit deren Ausreise in der vergangenen Woche überschlagen sich Zeitungen, Politiker und Justizvertreter mit Spekulationen und Anschuldigungen. Gegen Abend stieß der ausdrücklich das Militär unterstützende und umstrittene TV-Moderator und Präsidentschaftskandidat Tawfik Okasha zu den Demonstranten. Und weil Freitag war und sich die Nachricht schnell auf den nahen Tahrir-Platz verbreitete, entwickelte sich ein hitziges Gefecht zwischen Pro- und Anti-SCAF-Demonstranten und mittendrin das Militär, das die Gruppen auseinanderhalten musste, um die US-Botschaft zu schützen.

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich bin dann doch ausgegangen. Aufmerksam, aber ohne Angst. Denn Proteste sind in der Regel sehr lokal begrenzt und ich musste in die entgegengesetzte Richtung. Und was soll ich sagen? Das Leben geht immer weiter, weiter, weiter. Hätte ich nichts davon gelesen, hätte ich nichts davon bemerkt.

In der Straße, die Schausplatz der heftigen Straßenschlachten im November war, sind derweil echte Kunstwerke zur Erinnerung an die Opfer entstanden. Die Wände gehören zum großen Teil der Amerikanischen Universität in Kairo, die bereits bekundet haben soll, die Bilder bewahren zu wollen. Hier ein Artikel von Egypt Independent zum Thema.

Erinnert mich an Picassos Guernica.



Im Dezember während Straßenschlachten getöteter Azhar-Scheich



Märtyrer



SCAF-Chef Tantawi und Ex-Präsident Mubarak
work in progress
Und hier noch ein Bericht zur Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage seit dem vergangenen Jahr und ihren Konsequenzen.