Samstag, 4. Juni 2016

Dinge, die ich im Iran gelernt habe

Iraner (und Iranerinnen, allerdings möchte ich um der Schönheit der Sprache willen, im Folgenden auf den Hinweis verzichten, dass ich wenn generell, dann über alle Geschlechter spreche) lieben Picknick. Dazu bringen sie Teppiche und Decken mit, diverse Töpfe mit selbst gekochtem Essen, Thermoskannen und manchmal sogar einen Gaskocher für den Tee. Am Straßenrand, auf öffentlichen Plätzen, vor Moscheen, im Park. Picknick geht scheinbar immer.

Iraner lieben Essen. Und ich bin dem Reis mit Berberitzenbeeren und dem Huhn in Walnuss-Granatapfel-Soße vollständig verfallen.

Iraner mögen es, neue Leute kennenzulernen. Noch nie wurde ich während einer Reise nur um des Kontaktes willen und aus reiner, freundlicher Neugier so häufig angesprochen. Und dabei eigentlich immer sehr respektvoll behandelt – trotz Frau-Sein, locker sitzendem Kopftuch, mangelndem Farsi und allgemeiner Orientierungslosigkeit.

Iraner lieben Pflanzen im öffentlichen Raum. In allen Städten, die wir durchquerten, standen sorgfältig bewässerte Bäume an den Straßen, oft auch große Kübel mit blühenden Blumen. Die Stadtautobahnen sind häufig flankiert von Rasenflächen, Bäumen und Blumenbeeten, hin und wieder sogar zu Formen geschnittene Hecken wie die kleine Gruppe Elefanten, die wir in Teheran gesehen haben. Jede Stadt hat öffentliche Parkanlagen und Gärten, auch diese meist gut gepflegt und sehr sauber – und natürlich beliebte Treffpunkte für ein Picknick im kleinen oder großen Kreis.
Allerdings erkennt man beim Blick aus dem Fenster der Überlandbusse auch Folgendes sehr deutlich: Keine Bewässerung, kein Grün. Enden die Felder, beginnt die Wüste. Wassermangel ist eines der Themen, die in der nahen Zukunft zu weiteren Krisen führen werden - auch und besonders in Iran.

Auch abseits ihrer Gartenanlagen und historischen Sehenswürdigkeiten haben Iraner einen Sinn für's Schöne: In vielen Restaurants sind Tischdecken und Geschirr nicht nur praktisch, sondern auch geschmackvoll ausgesucht und arrangiert. In der Innenstadt von Teheran stehen überall Plakate, die bekannte Kunstwerke aus allen Kulturkreisen und Epochen zeigen. Viele neue Wände und Häuser sind mit Gemälden verziert, Blumen, Schmetterlinge, Ornamente, kafkaeske Landschaften und Menschen, Engel – allerdings beziehen sich viele dieser Bilder auf die Märtyrer der Revolution und des Iran-Irak-Krieges, beides Ereignisse, die mehr als 30 Jahre zurückliegen. Immer wieder fällt uns die Eleganz und der Geschmack auf, mit dem Männer und Frauen ihre Garderobe zusammenstellen – auch wenn wir das Ergebnis hin- und wieder etwas übertrieben empfinden.

Iraner reisen gern und würdigen die kulturellen Stätten ihres Landes. Welches Museum, welchen Palast, welche Moschee wir auch immer besuchten, immer trafen wir auch iranische Touristen.

Man kann auch im Heiligsten einer Moschee, im Frauen vorbehaltenen Teil eines Schreins sexuell belästigt werden. Ein kleiner Junge, der mir nicht mal bis zu Hüfte reichte, nutzte die Gelegenheit, um mir in den Hintern zu kneifen. Die Reaktion der Touristenführerin, die am Eingang wie aus dem Nichts vor uns aufgetaucht war und der wir dann auch brav folgten, war herzlich, aber hilflos. Allein die Tatsache, dass ein so kleiner Junge, der kaum wirklich wissen konnte, was er da tat, fremde Frauen im Gedränge betatschte, war mir Hinweis genug auf ein größeres Problem. Und auch wenn wir die gelegentlichen Kommentare fremder Männer auf der Straße nicht verstanden und bis auf diesen einen, höchst absurden Zwischenfall keine anderen vergleichbaren Erlebnisse hatten – iranische Freunde bestätigten später, dass sexuelle Belästigung im Iran ein heißes Eisen und eine massive Belastung für alle Frauen ist.

Ein Kopftuch ist ein Kopftuch ist ein Kopftuch. Welche Bedeutung man ihm beimisst und wie man es trägt, ist zunächst mal eine persönliche Entscheidung – auch wenn es für Frauen im Iran noch immer Pflicht ist, ihren Kopf zu bedecken. Die Art wie iranische Frauen ihr Tuch tragen, lässt in überraschend vielen Fällen jedoch relativ klar erkennen, dass sie es nur tragen, weil es eben vorgeschrieben ist und nicht aus religiöser Überzeugung. Denn ein Tuch, das so locker auf dem Kopf sitzt, das es hin und wieder mehr oder minder versehentlich auf die Schultern rutscht, hat wenig mit dem islamischen Hijab zu tun. Ebenso wie die zarten, bunten Tücher, die Pony und die vordere Hälfte des Kopfes freilassen und unter denen Zöpfe oder auch die offenen Haare frei auf den Rücken wallen.
Auf die Frage, wie hoch der Anteil der Frauen ist, die ihr Tuch derart leger tragen, und ob der Tuchzwang irgendwann in naher Zukunft aufgehoben wird, haben wir unterschiedliche Antworten bekommen. Im Flugzeug jedenfalls fielen über 90 Prozent der Tücher noch bevor die Maschine in Richtung Frankfurt abgehoben hatte, wobei die Mehrheit der Reisenden Iraner waren.

Iraner sind Witzbolde. Man muss sich nicht lange kennen, um gemeinsam zu lachen. Und ein letztes „Khoda hafez“ (Farsi für Auf Wiedersehen) an der Passkontrolle zwingt selbst die kühlste Kontrolleurin doch zum Lächeln.

Stereotype zu überwinden ist schwer – egal wie gerne man sie ziehen lassen möchte. Gerade der Umgang der Iranerinnen mit ihrem Tuch hat mich bis zum letzten Tag der Reise in Erstauen versetzt.

Iraner sind Menschen wie du und ich. Sie lieben, sie lachen, sie essen, sie schlafen, sie streiten, sie glauben oder auch nicht. Unter den Völkern, die ich bisher kennenlernen durfte, nehmen sie auf meiner Sympathieskala jetzt einen der vorderen Ränge ein. Und das nicht nur, weil ich den sanften Klang ihrer Sprache so mag.

Ich mag Musik, auch wenn ich kein Wort verstehe. (Okay, das ist keine neue Erkenntnis...) Leider habe ich die Namen der alten, traditionellen Künstler, die wir oft im Taxi hörten, vergessen. Aber für Pallett, eine junge iranische Band, deren zweite, sehr schön gestaltete CD "Teheran, smile!" wir am Flughafen doch noch erbeuten konnten, möchte ich gerne Werbung machen. Wenn jemand mehr über die sieben Jungs mit den zwei Cellos weiß, dann teilt euer Wissen bitte mit mir :)