Montag, 8. Dezember 2014

Leider komme ich erst jetzt dazu, meine Eindrücke aus Tunis in geschriebene Worte zu fassen. Aber ich will es doch heute noch tun, bevor die ganzen Kleinigkeiten und Empfindungen ganz aus meinem Bewusstsein verschwinden.
Mit jedem Schritt und jedem Blick habe ich Tunis mit Kairo verglichen. Das ist ganz automatisch passiert. Weil mir Ägypten ganz nah am Herzen liegt. Weil mich Kairo sehr viel mehr berührt als Amman, die zweite arabische Stadt, die ich relativ gut kennengelernt habe. Weil jeder, der seit Ende 2010 die politischen Ereignisse in Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen, Bahrain, Syrien – um nur die prominentesten Beispiele zu nennen – verfolgt hat, sich heute fragt: Warum scheint die Revolution nur in Tunesien Erfolg zu haben? Und warum zögert man heute, vier Jahre später, die Aufstände der Massen Revolution zu nennen?
Damit jetzt keine falschen Erwartungen aufkommen: Ich kann die Fragen nicht beantworten.
Ich habe so meine Vermutungen. Aber jedes Mal, wenn ich diese mit der Realität abgleiche, stelle ich fest, dass ich eigentlich nichts weiß. Zusammenhänge nicht sehe, Hintergründe nicht kenne, simple Fakten nicht parat habe. Das liegt in der Natur der Sache. Alles ist vielfältig verwoben und differenziert, entwickelt sich ständig weiter. 


Tunis, jedenfalls. So anders und doch so ähnlich wie das Kairo, das ich kenne.
Es beginnt schon am Flughafen. Nach Pass- und Gepäckkontrolle erwartet mich keine laut rufende Masse von Menschen, aus der immer wieder einzelne hervortreten, meine Tasche zu packen versuchen und mir ihr Taxi aufdrängen wollen. Eine irrsinnige Kakophonie. Ich hasse es. Ganz anders hier: Vor dem Ausgang stehen zwar überall Menschen, doch da ist reichlich Platz zwischen ihnen. Niemand quatscht mich an oder bedrängt mich. Auf der Suche nach dem Fahrer, den das Hotel geschickt hat, kann ich frei gehen, muss niemandem ausweichen oder jemanden bitten, aus dem Weg zu gehen.
Mein Arabisch funktioniert unterdessen soweit, dass ich dem Mann erklären kann, dass ich statt ins Hotel zur Botschaft muss. Wir treten aus dem Flughafengebäude und mir fällt auf wie frisch die Luft ist. Keine sich aufdrängenden Gerüche, keine sichtbare Staubglocke, kein gelber Dunst.
Der erste Weg führt also zur Botschaft. Die Zufahrtsstraßen sind ausgebaut wie Autobahnen, Abfahrten hoch und runter, von einer Bahn zur anderen, das kenne ich aus Kairo. Auch dass der Fahrer den Weg nicht kennt, ihn auch nicht findet und mich schließlich, weil er wegen der einstündigen Verspätung meines Fliegers keine Zeit mehr hat und weiter muss, an ein Taxi übergibt, das mich ein ganzes Stück zurückfährt und dann sicher abliefert, passt ins Bild. Aber niemand hupt, wirklich niemand auf der gesamten Strecke. Die Autos folgen den eingezeichneten Spuren, stoppen an roten Ampeln. Ich habe kein einziges Mal den Gedanken: „Ich will noch nicht sterben“, der mir in Kairo doch hin und wieder kam.
Und dann plötzlich dieser Geruch: Salz, Fisch und Algen. Ein bisschen zu intensiv, weil Tunis vom Mittelmeer durch große Seen getrennt wird. Und kurz später der Blick von der Terrasse der Botschaft. Die weite Wasserfläche mit einigen Gipfeln im Hintergrund, das weiche Licht, die Stadt erstreckt sich weit ins Landesinnere. Ich mag die Stadt schon jetzt. Aber eine dieser mir eigenen Irrationalitäten hat mich auch am nächsten Tag davon abgehalten, dort Fotos zu machen.
Später treffe ich mich mit einer Journalistin aus Kenia, die ich hierher eingeladen habe und die am gleichen Tag Geburtstag hat wie ich. Wir gehen essen, spazieren ein bisschen den Boulevard entlang, der Habib Bourguiba heißt, ich trinke noch einen Kaffee. Der ist scheußlich, ich schmecke vor allem die Desinfektionsmittel aus dem Leitungswasser. Vereinzelt bleiben junge Männer stehen, versuchen uns anzusprechen und gehen weiter als wir sie ignorieren. Ich sehe viele wunderschöne Frauen, die Haare offen, die Kleidung körperbetont. Selten eine einzeln, aber häufig Runden, in denen Männer und Frauen gemeinsam sitzen, reden und lachen.
Auch in den nächste Tagen fällt mir auf, um wie viel entspannter ich den Umgang der Menschen hier miteinander empfinde. Die Gehwege sind breit, nicht blockiert von Bäumen, Müll oder Autos, und können deshalb auch tatsächlich von Fußgängern benutzt werden. Das führt zu dem einfachen Fakt, dass sich nicht alle Verkehrsteilnehmer ein und dasselbe Stück Straße teilen müssen wie es in Kairo häufig ist. Und erspart allen Beteiligten, permanent wachsam sein zu müssen, um anderen auszuweichen, sie vorbeizulassen oder sich an ihnen vorbeizuschleusen. Zudem ist die Masse der Menschen sehr viel weniger drückend, was vermutlich der Tatsache geschuldet ist, dass in Kairo acht Millionen Menschen wohnen, während es in Tunis zwei Millionen sind.
Es ist so viel weniger laut hier, obwohl mein Hotel mitten im Getümmel liegt. Gehupt wird wie ich es aus Deutschland kenne – wenn ein anderes Auto die Straße blockiert, sich vordrängelt oder der Fahrer träumt. Der Muezzin-Ruf fällt mir nur auf, wenn ich gerade zufällig an einer Moschee vorbeikomme. In Ägypten muss man zu den Gebetszeiten jegliches Gespräch unterbrechen, das man gerade unter freiem Himmel führt. Jede Moschee versucht die andere zu übertönen, inklusive Zerrgeräuschen aus ihren Lautsprechern und einem irritierenden Mangel an Synchronisation, weil es scheinbar keine Funkuhren in Ägypten gibt und die Gebetsrufe zum Teil mit einem Abstand von mehreren Minuten einsetzen. Ist man gerade zufällig in einer unterirdischen Metro-Station, muss man um sein Gehör fürchten, so laut drehen sie dort die Lautsprecher auf.
Das auffälligste Zeichen ihrer Religion, ihr Kopftuch, trägt frau hier schlicht. Ich sehe keine der aufwendigen Wickeltechniken, wie sie die Ägypterinnen oft tragen. Eine einzige Frau im Niqab begegnet mir in der kurzen Zeit, alle anderen zeigen ihr Gesicht.


Ich laufe und fahre mehrmals durch die Stadt, finde zumindest zwei Stunden Zeit auch durch die Altstadt und ihre Suqs zu bummeln und werde am letzten Tag auf dem Heimweg von der Dunkelheit überrascht. In der Medina gebe ich ganz die Touristin, mit weitaufgerissenen Augen, Schlender-Takt, Hans-guck-in-die-Luft-Haltung und Kamera in der Hand. Die Kuppeln über den Gässchen der Märkte faszinieren mich mit ihren Lichteinlässen, ich bestaune die bunten Fliesen an vielen Häusern, bewundere die kunstvollen Verzierungen an den Außenwänden der Moscheen. Die schwarzen Pflastersteine auf dem Boden sind wie poliert von Milliarden Füßen, ein paar Mal schlittere ich unkoordiniert von einem Stein zum anderen. Die vor den Läden sitzenden Männer sprechen mich nur vereinzelt an, das ist noch so ein Unterschied: im Khan el-Khalili in Kairo spricht einen jeder Einzelne an, gerne auch mehrfach. Ich kaufe nichts außer ein paar Süßigkeiten und einer kleinen Gebetstrommel  – auch weil ich meinen positiven Eindruck nicht zerstören will. Arabischen Händlern fühle ich mich nach wie vor nicht gewachsen und habe nach Abschluss eines Geschäfts fast immer den Eindruck, dass ich gerade über den Tisch gezogen wurde. Auf meinen Wegen durch den Rest der Stadt werde ich ein paar Male von Männern angesprochen, die meinen, sie wollten mich kennenlernen. Ich bin meist freundlich abwehrend, nur im Dunkeln werde ich ungehalten und antworte in pissigem Ton auf Deutsch. Beides zeigt seine Wirkung.
Was noch? Ich ärgere mich über die Angestellten im Hotel, weil sie sich nicht an Absprachen halten, die Kreditkarten-Maschine nicht funktioniert und eine Rezeptionistin mir mehrfach mit der Rechnung auf die Nerven geht. Ich treffe mehrere tunesische Kollegen, die mich mit ihrer menschlichen Wärme, ihrer Effizienz und ihrem Wissen beeindrucken. Ich bin irritiert von einem, der mir zweimal sagt, er habe einen Termin außerhalb der Stadt und könne sich deshalb keine Zeit für mich nehmen, und den ich danach an verschiedenen Stellen in der Stadt treffe. Ich fühle immer noch, dass Angestellte von Botschaften in einer anderen Welt leben als ich und die meisten anderen, was nicht heißen soll, dass die Leute, die ich hier kennengelernt habe, unsympathisch waren.
Eine Freundin erzählt mir, wie durch und durch verfilzt die tunesischen Strukturen sind, wie ineffizient die tunesische Industrie und restliche Wirtschaft arbeiten, wie wenig Platz für Qualität, Kreativität und Wettbewerb es gibt. Ich höre zu und vergleiche immer noch. Dass es hier keine McDonalds-Filialen gibt, finden wir beide eigentlich begrüßenswert. Denn ein Tunesien, in dem ein Besuch bei McDonalds ein Zeichen von Status und Wohlstand ist wie wir es aus Ägypten kennen, wünschen wir uns beide nicht. Und die aus den USA importierten Neonreklamen im Stadtbild von Amman haben mich schon 2007 irritiert. Vieles von dem, was sie über Tunesien sagt, erinnert mich an Erfahrungen in Kairo. Ihrer Meinung nach verstärkt die geringe Größe der tunesischen Bevölkerung negative Entwicklungen wie die Dominanz vieler Bereiche durch Familienstrukturen. Vielleicht verstärkt dieser Umstand auch positive Entwicklungen, sie ist voll des Lobes für die Wahlbehörde.
Ich komme sicher nochmal hierher. Ich bezweifle aber, dass ich dann schon mehr Antworten im Gepäck habe.


Freitag, 5. Dezember 2014

Ein bisschen Zeit zum Trödeln durch die Altstadt

















Und dann noch Revolutions-Reggae vor dem Hotel: "Das Volk verlangt die Rechte der Märtyrer. Das Volk verlangt eine neue Revolution." Ich hätte nicht gedacht, dass ich diese Sätze so bald nochmal höre. Ich weiß allerdings auch nicht, wie alt der Song tatsächlich ist, hätte mal die beiden Mädels vor mir fragen sollen...





Donnerstag, 4. Dezember 2014

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Avenue Habib Bourguiba, Tunis - nach den Parlamentswahlen und vor der Stichwahl zur Präsidentschaft.

Mittwoch, 3. Dezember 2014

Tunis, 20 Grad, Sonnenschein und das Meer riecht so gut


Eines der letzten Großprojekte Ben Alis: Sportpalast