Mittwoch, 12. September 2007


Die wohl am meisten verblüffende Tatsache des gesamten Tages: Die Moschee hat mich nicht geweckt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das Morgengebet für mich ausfallen ließen. Aber aufgewacht bin ich erst vom Klingeln meines Weckers. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich mich so schnell daran gewöhnen und das Rufen ignorieren würde. Das menschliche Hirn ist schon eine famose Sache.

Heute am Morgen war der Einstufungstest. Erst sollten wir Dialoge hören und Fragen dazu beantworten, dann kamen ein Grammatikteil und ein Text mit weiteren Fragen. Nun ja, ich habe einige Sachen verstanden und beantworten können. Aber über Level A werde ich wohl doch nicht hinaus kommen. Der gesprochene Teil war viel zu schnell für mich, viele Vokabeln in den anderen beiden Teilen kannte ich nicht. Morgen um zehn gibt es die Ergebnisse. Schön war, danach mit den anderen Leuten zu reden und von ihnen die gleiche Einschätzung zu hören. Sicher haben einige von ihnen tief gestapelt und sich schlechter eingeschätzt, als sie tatsächlich abgeschnitten haben. Negativ aufgefallen ist allen eine Frau, die sich beim Lehrer beschwerte, dass der Test zu schwer gewesen sei. Sie schien eine Konvertitin zu sein – eine Europäerin mit streng gebundenem Kopftuch und langem Mantel, sehr weiß im Gesicht.

Danach wollte ich im Netz schauen, ob ich schon Antworten auf meine erste Mail bekommen habe. Der Rechner fand zwar sofort das drahtlose Netzwerk und ließ sich auch damit verbinden, doch dann ging nichts mehr. Weder Google, noch gmx, noch sonst irgendeine Seite ließen sich öffnen. Selbst nachdem mir ein freundlicher junger Mann mit den Proxy-Einstellungen geholfen hatte, passierte nichts auf meinem Bildschirm. Die Lösung: Der Microsoft Internet Explorer. Öffnen, Adresse eingeben, loslegen. Das Feuerfüchschen muss ich wohl erst mal ausrangieren. Warum die Technik nicht so will, wie ich sie gern hätte, versteh ich mal wieder nicht. Aber letztlich ist ja entscheidend, dass ich erreichbar bin. Und siehe da, es hatten schon liebe Menschen geantwortet. Dank an Euch! Ich hab mich sehr gefreut. Weil ich keine Lust hatte, auch noch das Kabel mitzuschleppen, schaffte ich es danach gerade noch so, mir einen Blog einzurichten. Füllen werd ich ihn erst morgen können. Denn nach der ersten Seite war mein Bildschirm schließlich schwarz. Die Rumprobiererei vorher hatte einfach zu lange gedauert, der Akku brauchte frischen Saft.

Danach bin ich noch ein bisschen sitzen geblieben. Habe von einer Amerikanerin die Telefonnummer eines jungen Mannes, der Appartements in der Nähe vermietet, bekommen. Ihn werde ich morgen Mittag treffen. Habe mit ein paar anderen Leuten gequatscht, war kurz Teil der german corner.

Auf dem Heimweg habe ich das Geld für die Miete abgehoben, auch wenn der Automat mal wieder nicht mehr als 250 Dinar auf einmal ausspucken wollte. Gegenüber dem Haupteingang der Uni streifte ich kurz durch eine Buchhandlung auf der Suche nach englischen Büchern. Gestern habe ich mit Bill Brysons „Notes from a Big Country“ begonnen – großartig fiese Texte über die Vereinigten Staaten, geschrieben von einem Amerikaner, der nach 20 Jahren Leben auf der britischen Insel in sein Heimatland zurückkehrt und ne Menge Dinge ludicrous, appalling, pointless und prepousterous findet – also lächerlich, entsetzlich, sinnlos und grotesk. Die Reclams von Paul Auster und John Steinbeck liegen noch im Regal – aber selbst wenn ich immer fleißig Arabisch pauke, jede Zeile der Jordan Times studiere und brav blogge, werde ich auch die sehr bald ausgelesen haben. Das Los der Wortjunkies – wir brauchen ständig neuen Stoff.

Nach dem Essen hab ich genickert und wurde schließlich doch noch von der Moschee geweckt, die diesmal zum Nachmittagsgebet rief. Gleich werde ich einige Dinge einkaufen gehen, denn morgen beginnt der Fastenmonat Ramadan. Tagsüber essen, trinken und rauchen werde ich dann nur hinter verschlossenen Türen. Auch wenn ich normalerweise sehr gut einen ganzen Tag lang ohne Essen auskomme – zu wissen, dass in meinem Zimmer leckere Sachen auf mich warten, wird mir das Mitfasten doch sehr erleichtern. Außerdem will ich schauen, ob Zeynat von der Rezeption Lust auf ein wenig Gesellschaft, eine Partie Backgammon oder ein paar holprige Sätze Arabisch hat. In den vergangenen Tagen wirkte es nicht, als wäre sie hinter ihrem Tresen sehr beschäftigt.

Ich treffe sie mit einer jordanischen Journalistin, die erzählt, dass sie nach der Kindererziehung zurück in den Job will, und sofort meine Visitenkarte in die Hand gedrückt bekommt. Wir reden ein bisschen, dann zieht es mich in den Supermarkt. Ein Topf für 6 Dinar, Gemüse, Nudeln und Tomatenmark, Milch, Instant-Kaffee, was für den süßen Zahn und endlich denke ich auch an das Toilettenpapier. Die Verkäufer sind sehr nett, auch als ich die Worte für Kartoffeln und Kuh verwechsle. Nicht batata, sondern bakara (beides tief hinten im Rachen gesprochen). Ziegenmilch im Kaffee will ich schließlich nicht.

Zeynat legt ihren Koran zur Seite, setzt sich mit mir zusammen. Ihre Bekannte ist schon wieder weg. Sie erzählt zuerst von ihrer Familie, sieben Schwestern und drei Brüder, dann von ihrer Ausbildung zur Krankenschwester. Bis abends um sieben dauere das Fasten, al-saum, aber ich könne gerne auch schon vorher kochen und essen, versichert sie mir. Schließlich wisse doch jeder, dass ich Christin sei. Ich verkneife mir jeden Kommentar zu dieser Annahme; habe ja noch deutlich das entsetzte Gesicht meines marokkanischen Sprachpartners vor Augen, als ich ihm sagte, ich hätte noch nie die Bibel komplett gelesen. Ich frage und frage – über das Beten, ob sie in die Moschee geht, was der Hischab, das Kopftuch, für sie bedeutet – erzähle ein paar Dinge über Deutschland, das Bildungssystem, die neuen Studiengebühren und dass es vor gut hundert Jahren für deutsche Frauen durchaus üblich war, in der Öffentlichkeit ein Kopftuch zu tragen. Wir plaudern zwei kurze Stunden, dann hat sie Feierabend und ich ziehe mich in mein Zimmer zurück, will nicht zu aufdringlich sein.

Mein Lieblingsarabisch heute: janni – ich denke, ich meine. Ein wunderbares Füllsel für alle Gelegenheiten.

Letzte Frage: Woher kommt die einsame Mücke, die mich gerade umsirrt und wohl an ein sicheres Abendbrot glaubt?