Dienstag, 10. April 2012


Ich müsste euch schreiben, viel mehr schreiben. Ich lebe hier in so spannenden Tagen, Wochen, Monate sind es ja sogar. Aber gerade weil jeden Tag etwas anderes passiert, komme ich einfach nicht dazu.

Die Arbeit läuft. Nicht so wie ich gehofft hatte. Aber ich sehe viel, verstehe manches besser, manches immer noch nicht, stolpere über neue Fragen.

Die Leute in der Staatszeitung, in der ich mich derzeit herumtreibe, sind freundlich, offen, neugierig und beantworten jede Frage, erzählen gern. Obwohl wir an unserem zweiten Tag beinahe rauskomplimentiert worden wären, was sich dann aber doch in Wohlgefallen auflöste. Auffällig ist und bleibt, dass in dem Raum, in dem die Entscheidungen getroffen werden, Frauen nur Gäste sind. Sie kommen herein, besprechen sich mit den Männern, geben ihre Artikel ab und manchmal Widerworte. Aber keine bleibt, redigiert oder bestimmt, welcher Artikel an welche Stelle kommt.

Das Thema, das alle Ägypter und die meisten ihrer Gäste umtreibt, sind die Präsidentschaftswahlen. Seit gestern ist klar, wer kandidiert. In spätestens einer Woche wissen wir auch, wer Kandidat bleiben darf. Noch vor einer Woche war ich hundertprozentig sicher, dass Ägypten einen konservativ-islamischen Präsidenten haben wird.

Einen, der sich früh sowohl auf die Seite der Leute auf dem Tahrir geschlagen hat wie auch offen das Militärregime kritisiert hat. Ein Anwalt und Scheich, eloquent und respektabel. Aber eben auch einen, der vor allem von Leuten unterstützt wird, die im Parlament Anträge auf die Sperrung von Porno-Seiten im Internet stellen oder auf die Abschaffung des Rechts von Frauen auf Scheidung und während des Parlamentswahlkampfs Statuen nackter Menschen verhüllten. Die aus dem Nichts gekommen zu scheinende politische Kraft der Salafisten, stark geprägt vom wahhabitischen Gedankengut aus Saudi-Arabien und von Mubarak geförderte Gegenspieler der gemäßigteren Muslimbrüder. Mir war nicht eben wohl bei dem Gedanken an einen Präsidenten mit dem Namen Hazem Salah  Abu Ismail.

Und dann, out of the blue, waren da diese Gerüchte, dass seine Mutter U.S.-amerikanische Staatsbürgerin ist. Dazu muss man wissen, dass der neue ägyptische Präsident weder mit einer Ausländerin verheiratet sein darf (ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass es keine Präsidentin geben wird, obwohl es mindestens eine Kandidatin gibt), noch dass seine Eltern eine andere als die ägyptische Staatsbürgerschaft haben. Da waren noch andere schräge Regeln, aber die fallen mir gerade nicht ein.Ach ja, die Sache mit den Vorstrafen, sehr witzig in einem Land, in dem man für sein Engagement als Oppositionspolitiker verhaftet und verurteilt wurde (und wird), gerne auch von Militärgerichten.

Morgen sollen endgültig Dokumente veröffentlicht werden, aus denen hervorgeht, ob Hazem Abu Ismails Mutter als US-Amerikanerin gestorben ist oder nicht. Wenn es stimmt, ist er aus dem Rennen. Und mir bliebe ein seltsames Gefühl, eine Irritation darüber, dass der Kandidat mit den besten Aussichten auf Erfolg, auf diese Weise ausscheidet.

Es gibt auch über andere Kandidaten derartige Gerüchte. Bei mindestens einem haben sie sich bestätigt, andere konnte beweisen, dass sie nicht stimmen. Im Parlament wird an einem Änderungsantrag für das Wahlgesetz gearbeitet, das zwei weitere aussichtsreiche Kandidaten verhindern würde – den ehemaligen Geheimdienstchef Omar  Suleiman, der erst ganz kurz vor Bewerbungsschluss seinen Hut in den Ring warf, und Mubaraks letzter Premier Ahmed  Shafiq.

Ich beobachte weiter, auch wenn mein armes Hirn die Komplexität der Vorgänge kaum zu fassen vermag und manchmal schlicht in Streik tritt. Fahre demnächst ein paar Tage mit Freunden in die Wüste und hätte da auch noch was zum Thema Militär zu vermelden. Aber für heute ist es erst mal wieder genug.

edit: Am 11. April hat ein Verwaltungsgericht (ich nehme an, das höchste, aber Zeit, das zu recherchieren, hab ich jetzt grad nicht...) entschieden, dass es keine ausreichenden Beweise dafür gibt, dass des Salafisten Mutter als US-Amerikanerin gestorben ist. So schreibt es jedenfalls Egypt Independent. Wie schon oben angemerkt, passiert hier täglich was Neues und nichts scheint sicher. Aber würde ich auf den nächsten Präsidenten Ägyptens wetten, dann würde ich auf Abu Ismail setzen. Auch wenn mir das rein ideologisch nicht in den Kram passt.