Dienstag, 11. September 2007

zwei in einem

Mir scheint, ich habe endlich ausgeschlafen. Die vergangene Nacht war unruhig, es steht 17 zu drei – 17 Mückenleichen, drei Stiche; die gesamte Nacht verbrachte ich schwitzend unter dünnen Tüchern, die die Biester tatsächlich von mir abhielten. Heute Morgen dann entdeckte ich doch noch das Fliegengitter am Fenster, das mir künftig ruhigere Nächte bescheren wird.

Den Morgen verbringe ich damit, Zeit zu vertändeln. Ich will mir später Amman anschauen, aber die übelste Mittagshitze vermeiden. Ich trinke Kaffee, rauche eine, zwei Zigaretten, vertilge die letzten Kekse aus der Bäckerei um die Ecke. Danach verschicke ich von dem Rechner an der Rezeption für einen Dinar meine erste Mail an die Lieben daheim, malträtiere mein Bankkonto, kontrolliere all meine virtuellen Identitäten. Die Ladezeiten sind fast so schnell wie in Deutschland. Ich werde keine neue E-Mail-Adresse brauchen, mein Internet-Leben wird sich wahrscheinlich fast gar nicht verändern.

Danach nehme ich mein Zimmer endgültig in Besitz, packe alle Klamotten bis auf die beiden dicken Pullover aus den Taschen und verteile Schreibkram, Kabel und Küchenutensilien in den Regalen. Der Traumfänger hängt am Fliegengitter, die Apotheke liegt griffbereit neben der Tür, der dämliche Stromadapter rutscht weiter fröhlich und regelmäßig aus der Dose. Die wichtigsten Daten sichere ich noch mal auf dem USB-Stick und der Festplatte.

Dass heute der 11. September ist, der Tag, an dem ich seit fünf Jahren Tagebuch führe, fällt mir erst ein, als ich den heutigen Text beginne. Vermutlich wird mir das Datum nirgendwo sonst begegnen.

Vor dem Abflug hatte ich noch gewitzelt, dass ich mich unbedingt am 11. September für meinen Sprachkurs anmelden wollte. Stattdessen habe ich das gestern schon erledigt. Zu Fuß brauche ich etwa zehn Minuten zur Uni, das Sprachzentrum liegt etwas versteckt hinter der Fakultät für Kunst. Privatsphäre ist im Büro von Omar Tawfiq, dem Betreuer der Sprachschüler, ein Fremdwort. Vor seinem Schreibtisch stehen sechs Stühle, die fast alle mit Wartenden besetzt sind. Ich erinnere mich dunkel, dass ich von ähnlichen Gepflogenheiten in arabischen Behörden bereits gelesen hatte.

Ich treffe vor dem Büro vor allem Deutsche – aus Münster und Heidelberg, Orientalistikstudenten und Islamwissenschaftler. Einzig ein übergewichtiges Pärchen kommt aus den USA; während ich wartend neben ihnen sitze, fallen ihr fast die Brüste aus dem Shirt. Dass ich Probleme habe, sein Englisch zu verstehen, finde ich allerdings weniger witzig.

Insgesamt dreimal laufe ich zwischen Sprachzentrum und Verwaltungsgebäude hin und her. Das erste Mal suche ich nur einen Geldautomaten und etwas zu trinken, laufe ein Stück weiter als nötig, um einen ersten Eindruck zu gewinnen. Die Kreditkarte gibt nur 350 Dinar frei, ich bräuchte 750 um mich anzumelden. Dann soll ich am nächsten Tag wiederkommen, Tawfiq Omar ist nicht aus der Ruhe zu bringen, hört das Problem wohl schon zum tausendsten Mal. Ich bin schon auf dem Weg zum Hauptausgang, da fällt mir die zweite Bankkarte ein, die ich bei mir trage. 500 Dinar spuckt der Automat aus ohne zu mucken. Ich bin darüber amüsiert, dass mein erster arabischer Satz an der Uni „aindi al-flus“ lautet – ich hab das Geld. Beim zweiten Mal erkenne ich Verwaltungsgebäude und Bank ohne Probleme wieder, reihe mich in die Schlangen ein und darf zahlen. Beim dritten Mal bin ich mit meinem neuen Studentenausweis in der Tasche auf dem Heimweg und zeige eben noch einer weiteren deutschen Bekanntschaft die Verwaltung.

Die Straßen auf dem Campus sind voll mit Menschen. Die Männer tragen meist Shirts und Jeans, manche Anzug, nur wenige das bodenlange weiße Gewand aus den Golfstaaten. Die meisten der jungen Frauen tragen Kopftuch, andere haben die langen dunklen Haare oft mit blonden Strähnen durchsetzt und offen. Kurze Haare tragen offensichtlich nur die Ausländerinnen. Zweimal sehe ich voll verschleierte Frauen, einmal kommt mir ein Mädchen in Dreiviertel-Hosen entgegen. Sie läuft zügig und in der Mitte des Weges. Die meisten tragen Hosen, oft einen Mantel oder zumindest ein knielanges Hemd darüber, ganz selten nur einen bodenlangen Rock. Das Kopftuch passt in der Regel entweder zur Handtasche oder dem Oberteil. Auf die Auswahl ihrer Kleidung scheinen sie alle sehr viel Wert zu legen, nichts scheint dem Zufall überlassen, Farben und Muster sind zum Teil exquisit und ich entdecke einige große Modenamen auf ihren Handtaschen.

Mein Lächeln wird nur selten beantwortet, ich kann die Blicke nicht recht deuten. Meine Hose und meine Bluse sind weiß und weit und sollten eigentlich keinen Anstoß erregen. Vielleicht sind es die kurzen Haare, vielleicht die Bauchtasche, vielleicht die Crocs, vielleicht einfach nur die Neugier.

Das mit dem Lächeln klappt heute in der Stadt sehr viel besser. Vor allem die älteren Frauen lächeln zurück, die jüngeren dagegen verziehen meist keine Miene. Auf die Rufe der Verkäufer reagiere ich nicht, nur manchmal lächle ich und winke ab. In einer stinkenden Gasse pfeifen sie mir hinterher, ich dreh mich nicht mal um, schaue nur einen, der ein paar Meter weiter lacht, mit gehobenen Augenbrauen und Runzelstirn an. Eigentlich wollte ich den Spaziergang im T-Shirt wagen, nun bin ich doch froh, mich für lange Arme entschieden zu haben. Nackte Arme sehe ich tatsächlich nur bei den Touristinnen – und die tapern nicht allein durch die Gegend.

Ich versuche mich im Getümmel rund um den wasat al-balad zu bewegen, als wäre es nicht erst mein zweiter Tag hier. Laufe gemächlich, schaue in die tausendundeinen Läden und auf die Auslagen der Händlerinnen auf dem Bürgersteig, esse Hühnchen mit Reis in einem der Imbisse (natürlich im Obergeschoss, wie es sich für eine Frau gehört), drängle mich durch den übervollen Gemüsemarkt, winke mir ein Taxi heran, als die Dämmerung beginnt. Es gibt alles – von Klamotten und Schuhen über Möbel und Stereoanlagen bis hin zu Kinderspielzeug, Parfüm und Haushaltswaren. Ich sehe sogar eine Schmiede und zwei Haustierläden mit gefärbten Küken und übervollen Aquarien. Im überall reichlich vorhandenen Müll wühlen gescheckte Katzen.

Allerdings finde ich mal wieder erst heraus, wo genau ich entlang gelaufen bin, nachdem ich im Hostel angekommen bin und mich bei Whiskey-Kakao über die Karten lümmele. Denn Straßenschilder sind wirklich selten und das Englisch der Leute auf der Straße ist kaum besser als mein Arabisch. Den arabischen Stadtplan aus dem Tourismusbüro im Flughafen mitgenommen zu haben, erweist sich als hervorragende Idee – mit der Karte im Reiseführer können die Taxifahrer nichts anfangen, mit der chaarta ammaan dagegen schon. Beruhigend ist, dass ich so ziemlich da war, wo ich hinwollte. Eklig dagegen ist der Geruch meiner Kleider und Haare, der mir erst beim Betreten meines Zimmers so richtig auffällt. Das Ladenviertel ist von vielbefahrenen Straßen durchzogen, die Abgase hängen an mir fest. Den nächsten Bummel hier werd ich wohl erst machen, wenn ich wirklich etwas kaufen muss. Idyllisch jedenfalls geht anders, wie erwartet erinnert mich Amman mehr an Athen als an Erfurt.

Auf dem Weg zum dachlia wahida, dem ersten von sieben (eigentlich acht) Kreiseln, entdecke ich aus dem Minibus heraus die Jordan Press Foundation, die Herausgeber der Jordan Times. Sie ist nicht sehr weit von meinem Hostel entfernt, in den nächsten Wochen will ich mich schon mal dort vorstellen. Die neue Wohnung sollte also auf jeden Fall irgendwo hier im Viertel sein. Auf dem Rückweg erkenne ich das Gebäude wieder, genau wie die Moschee hinter meinem Hostel. Mein Brieftaubensuchsystem wird hier wohl auch funktionieren.

Ich begutachte noch den Fitnessraum neben dem Hostel, den ich kostenlos nutzen kann. Dass ich tatsächlich anfange, mich auf solchen Maschinen zu quälen, bezweifle ich allerdings. Der Pool sieht hübsch aus, ob ich fürs Schwimmen Geld ausgeben will, weiß ich aber noch nicht. Zeyna von der Rezeption vertröste ich nochmals, weil ich keine Lust hatte, mitten in der Stadt die 300 Dinar für die Miete abzuheben und durch die Gegend zu tragen. Die Uni scheint mir ein besserer Ort für solche Transaktionen zu seit. Sie lächelt und versichert, dass es kein Problem sei.

Morgen um neun schlägt die Stunde der Wahrheit. Placement test für den Arabisch-Kurs. Ich habe keinen blassen Schimmer, was auf mich zukommt. Eigentlich wollte ich noch mal ein paar Vokabeln pauken, vielleicht höre ich gleich noch mal in meinen Audio-Sprachkurs rein. Ich hoffe, dass mein Wissen zumindest für die zweite Stufe ausreicht.

Das Fliegengitter verhindert übrigens tatsächlich weitere Massaker in meinem Zimmer. Ich liege seit zwei Stunden bei offenem Fenster unter der Neonröhre und habe noch keinen einzigen ungebetenen Gast entdeckt, geschweige denn gespürt. Erleichterung! Auch über die Blasenpflaster, dank derer der Spaziergang heute problemlos beschwingt verlief. ma muschkila, kein Problem ;)

Was ich allerdings nicht verstehe: Seit wann heißt es der Gitter? Die Windowrechtsschreibprüfung besteht nämlich darauf, dass das (Fliegen-)Gitter falsch ist. Wer kann für Aufklärung sorgen? Der Fliegengitter, das Fliegengitter, die Fliegengitter – seltsam, jetzt markiert er keine Version als falsch... Der Rechner wird ja die das-Version ja wohl nicht plötzlich akzeptieren, nur weil ich sie zum dritten Mal geschrieben habe? Wunderwelt der Technik.