Mittwoch, 14. Dezember 2011

tönte ich, das hier sei als Tagebuch gedacht? Nun, es hat hoffentlich niemand gehört...

Es ist schon wieder halb drei in der Nacht, ich habe den gesamten Abend mit dem Überarbeiten meines ersten englischen Wissenschaftstext verbracht, der morgen eingereicht werden muss, und danach versucht, mich auf dem Laufenden zu halten. Während der Essenspause fing die Satellitenschüssel dankenswerterweise die Tagesthemen ein, so dass ich mir das Lesen der deutschen Nachrichten heute sparen konnte.

Stattdessen habe ich dann diesen wunderbaren Artikel der Huffington Post gelesen, der sehr gut einfängt, woran ich akademisch derzeit arbeite. Noch eine Fußnote für das Konferenzpapier, das ich mit meiner Kollegin Hanan gemeinsam einreichen werde...
In Kürze: Weil der Chefredakteur der privaten Tagezseitung al-Masry al-Youm den Artikel eines amerikanischen Politikwissenschaftlers zum Thema Armee, Militärrat und Macht erst hat verändern lassen und dann doch nicht ins Blatt nahm, sondern statt dessen die zweite Ausgabe des wöchentlichen Ablegers Egypt Independent einstampfen ließ - Luft holen - haben einige Redakteure der englischen Internetausgabe von al-Masry al-Youm öffentlich protestiert, den Artikel digital publiziert und sich von ihrem Mutterblatt losgesagt. Jedenfalls trägt die Internetseite, die ich täglich besuche, jetzt den Schriftzug Egypt Independent, wo vorher al-Masry al-Youm stand. Ob da eine wirkliche Unabhängigkeit draus wird, ist vermutlich dann aber doch sehr stark eine Frage des Geldes...

Die meiste Lesezeit ist natürlich für die Wahlberichterstattung drauf gegangen: Schon tagsüber war, obwohl ich an keiner Schule und damit auch an keiner Wählerschlange direkt vorbeigekommen bin, die Wahl kaum zu übersehen. Zur Erklärung: Die zweite Runde der Wahlen findet unter anderem im Distrikt Giza statt, was ich unbedarfte Ruhrpöttlerin uneingeschränkt der Stadt Kairo zuordnen würde - nur um von Wattenscheidern belehrt zu werden, dass Wattenscheid nicht Bochum ist.
Wie auch immer, aus dem Taxi steigend (ich wohne in Kairo, nicht in Giza) trat ich auf diverse Wahlflyer der Muslimbrüder - obwohl Wahlwerbung in den 48 Stunden vor der Wahl verboten ist. Und eine meiner Klassenkameradinnen bekam per SMS die gleiche Werbebotschaft wie ich während der ersten Runde: Dieser Block ist gut für Ägypten und hat das Zeichen "soundso" - wegen einer Analphabetenrate von geschätzten 30 Prozent hat die Wahlkommission den Parteien Symbole zugeordnet, die von Banane über  Panzer und altertümlicher Kanone bis hin zum Standmixer gehen. Die Muslimbrüder haben eine Waage, die Salafis ne Laterne, der erfolgversprechendste liberale Block ein Auge und der Guardian ne umfangreiche Bildergalerie.
Kommentar unseres Lehrers zu der SMS: Naja, einem der Chefs des Blocks gehört die Mobiltelefongesellschaft, da muss man sich nicht wundern.
Und während die einen SMS verschickten und die anderen Flugblätter verteilten, bezahlten die nächsten Minibusse, um damit Wähler in Wahllokale zu fahren, und wieder andere wurden für tot erklärt, um einige Stunden später energisch zu protestieren und auf der Kandidatur zu beharren. Ingesamt sei es wieder sehr friedlich gewesen, schreiben die Journalisten von AMAY/EI, obwohl es vereinzelt zu Auseinandersetzungen zwischen Parteivertretern gekommen sei und in einem Fall sogar zu einer halbstündigen Schießerei zwischen den Vertretern zweier Parteien, bei der niemand verletzt worden sein soll.

Und jetzt ist es drei und ich lösche das Licht :)